Während der belgische Regisseur Koen Mortier mitten in der Prä-Produktion seines ersten Hollywoodfilms, der Chuck-Palahniuk-Adaption Haunted, steht, lohnt es sich, einen Blick auf sein Spielfilmdebüt zu werfen, das in seinem Heimatland einiges an Aufsehen erregte und Diskussionen ob seiner Kontroversität auslöste. Kein Wunder, denn Ex Drummer ist eine anarchische und voyeuristische Tour de Force durch soziale Brennpunkte voller Hass und Gewalt.
Dries (Dries Van Hegen) ist ein erfolgreicher Schriftsteller, der in seinem luxuriösen Penthouse-Apartment regelmäßig Geschlechtsverkehr mit mehreren Frauen – inklusive seiner sexuell aufgeschlossenen Freundin Lio (Dolores Bouckaert) – hat. Tatsächlich aber ödet ihn sein Lebensstil an. Da kommt es ihm gerade recht, dass eines Tages zufällig drei heruntergekommene Typen an seiner Tür klingeln, weil sie für einen einmaligen Auftritt ihrer Band einen Drummer suchen. Diese illustren Gestalten können gegensätzlicher zu Dries kaum sein: Koen (Norman Baert) ist der Sänger der Band, durchgehend auf einem Trip und stets gewaltbereit, um vor allem Frauen blutig zu schlagen. Der schwule Jan (Gunter Lamoot) spielt mit seinem steifen Arm den Bass, hat eine glatzköpfige Mutter, die mit Koen schläft und einen gemeingefährlichen Vater, der mit einer Zwangsjacke fixiert werden muss. Der dritte im Bunde ist Ivan (Sam Louwyck), der beinahe taube Gitarrist. Er lebt in einem zugemüllten Loch von Wohnung, in dem seine kleine Tochter zugrunde geht, weil sich seine koksende Frau einen Scheißdreck darum scherrt.
Dries willigt letztlich ein, das Schlagzeug für die Band zu spielen, denn er sieht die Möglichkeit, in der untersten Unterschicht Belgiens wie ein Tourist umherzuspazieren, die Leute ohne Rücksicht und ohne Menschlichkeit zu manipulieren und so einen Ideenschub für einen neuen Roman zu erhalten.
Mortier illustriert in seinem Film ein heruntergekommenes, dreckiges Moloch voller Gewalt. Wir bekommen einen Einblick in den Teil der Gesellschaft, dessen Lage alles andere als rosig aussieht. Wir erfahren hautnah, was diese Menschen denken, was sie fühlen (nicht mehr viel) und wie sie handeln. Koens Ventil ist der Pflasterstein mit dem er Frauen die Gesichter zertrümmert. Jan hingegen behandelt seinen Vater wie ein wildes Tier und schleudert seiner Mutter nichts als Schimpfworte entgegen. Und wenn Ivan abends nach Hause zurückkehrt, sind Stress mit seiner Frau und bittere Tränen seiner Tochter vorprogrammiert. Ex Drummer zeigt eine gefährliche Unterschicht, auf die sich die Abscheu des Zuschauers fokussieren würde, wäre da nicht Erfolgsautor Dries, der als Intellektueller ganz bewusst in dieses Milieu abtaucht und Gott spielt.
Immer wieder streut er Kommentare und Meinungen, die seine Bandmitglieder in ihren Ansichten beeinflussen. Ohne Mitgefühl suhlt er sich in dieser faszinierenden Umgebung aus Leid und Zorn, die er nie zuvor so hautnah erleben durfte. So verachtenswert die von Vorurteilen und Rassismus geprägte Unterschicht in all ihrem Dreck und der Gewalt auch sein mag, der eiskalte Dries ist in Wahrheit der gefährlichste, aber auch der interessanteste Charakter von allen.
Auch auf visueller Ebene hält sich Ex Drummer kaum zurück. Die Kulissen sprechen eine deutliche Sprache, explizite Gewalt- und Sexszenen tun ihr Übriges. Das ausufernde und in Gewalttätitgkeiten kulminierende regionale Rockfestival, auf dem die Band schließlich auftritt, bildet da mit seiner fiebrigen Atmosphäre einen der Höhepunkte. Aber auch das blutige Finale, das anschließend in eine Reihe verstörender Monologe übergeht, zeigt, dass der Regisseur sein Handwerk versteht. Nicht nur auf der Bildebene, auch auf der Tonspur wird brachial geknüppelt; die passende Musikuntermalung hämmert sich in den eskalierenden Szenen von einem Punkrocksong zum nächsten.
Koen Mortier gelingt mit seinem Regiedebüt eine radikale Reise in eine kalte Welt ohne Zukunftsaussichten, eine Parabel über soziale Verelendung. Beginnt Ex Drummer noch als schwarze Komödie, der raueren Art, so endet er schließlich als finsterer, kontroverser Albtraum ohne Rücksicht auf Verluste.