Cold Fish ist der zweite Teil von Sion Sonos Hass-Trilogie, die mit Love Exposure (2008) ihren Anfang nahm und mit Guilty Of Romance (2011) abschließt. Die Handlungen der drei Filme sind jedoch nicht miteinander verknüpft, sondern stehen für sich allein. Stattdessen sind es gemeinsame Motive, die die Geschichten verbinden. Hass mag da ein zentraler Aspekt sein, aber wenn es eine Sache gibt, die diese und weitere Filme des Regisseurs gemeinsam haben, dann sind es dysfunktionale Familien.
Dieses Mal steht der überforderte Ehemann und Vater Nobuyuki Syamoto (Mitsuru Fukikoshi) im Mittelpunkt. Sein Leben könnte kaum trüber sein: Er ist Inhaber eines recht erfolglosen Ladens für tropische Fische und daheim hat er seiner zweiten Frau Taeko (Megumi Kagurazaka) nicht das Geringste entgegenzusetzen; Probleme werden gar nicht erst konfrontiert. Seine pubertierende Tochter Mitsuko (Hikari Kajiwara) erreicht er schon gar nicht mehr. Doch Nobuyuki bringt die Probleme nicht zur Sprache und so geht das beschädigte, aber trotzdem halbwegs funktionierende Leben seinen gewohnten Gang, bis die Familie auf den Geschäftsmann Murata (Denden) trifft. Als nämlich Mitsuko eines Tages beim Ladendiebstahl erwischt wird, ist es Murata, der ihr aus der Klemme hilft und sie anschließend als Praktikantin in seinem eigenen, weit imposanteren Fischgeschäft anstellt. Außerdem hat es der so freundlich erscheinende ältere Herr auf ihre Mutter abgesehen, die seiner zunächst gewaltsamen Annäherung schließlich nachgibt. Als wäre es nicht genug, dass Nobuyuki auf diese Weise Frau und Tochter noch mehr entgleiten als ohnehin schon, lässt er sich naiverweise darauf ein, Murata als Zierfischexperte bei Geschäftsverhandlungen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Dabei stellt sich heraus, dass sich hinter Muratas sympathischem Lächeln ein skrupelloser Fischmogul verbirgt, der – gemeinsam mit seiner nymphomanischen Ehefrau und seinem zwielichtigen Geschäftspartner – auch den Mord an seinen finanzstarken Kunden nicht scheut, um das große Geld zu machen. Als Nobuyuki zum unfreiwilligen Zeuge dieser Gräueltaten wird, bleibt ihm nichts anderes übrig, als den brutalen Killern bei der Leichenentsorgung zur Hand zu gehen und ja nichts davon an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, um nicht selbst als Fischfutter zu enden.
Es geht mal wieder um Familie, um den Alltag und um finstere Abgründe, die sich auftun, wenn man die oberflächliche Fassade durchdringt. Und doch ist Sonos Film – mal wieder – völlig anders inszeniert als seine Vorgänger. Cold Fish beginnt recht gemächlich, ohne langweilig zu sein. Subtil und nur ganz allmählich sehen wir, wie sich Nobuyuki Syamotos eigenes Leben von ihm entfremdet, um dann im Verlauf der zweiten Filmhälfte einen verzweifelten Protagonisten zu erleben, dessen Ausweg aus einer fatalen Zwickmühle nur über drastische Mittel führen kann. Das Drama eines in jeglicher Hinsicht schwachen Mannes, der unter der Dominanz eines arroganten, unmoralischen Widersachers zu leiden hat, nimmt gegen Ende an Fahrt auf und wird zu einem perversen Thriller, der nicht mit Körperteilen und Blutlachen spart.
Für radikale Umschwünge im Plot oder Veränderungen der Machtverhältnisse in der Figurenkonstellation setzt der Regisseur regelmäßig auf emotionale Ausbrüche seiner Charaktere. Das funktioniert in diesem Fall sogar ausgesprochen gut, weil sich Sono genug Zeit lässt, um dem Zuschauer eine nachvollziehbare Entwicklung zu präsentieren; eine Sache, die ihm in der Vergangenheit nicht immer gelungen ist und auch mal zu unfreiwilliger Komik oder irritiertem Unverständnis führen konnte.
Im Gegensatz zur visuellen Überzeichnung seines Kollegen Tetsuya Nakashima, bleibt Sion Sono immer recht bodenständig und nah am Leben. Von einem überstilisierten Rachedrama mit perfektionistischer Arbeit an Kamera und Beleuchtung, wie es besonders gern in Südkorea praktiziert wird, ist sein Film noch ein Stück entfernt. Zwar ist Cold Fish das höhere Budget im Vergleich zu Suicide Circle (2001) oder Noriko’s Dinner Table (2005) selbstverständlich anzusehen, aber Sono ist stets darum bemüht, immer dann, wenn seine Szenen nicht ins Groteske oder Surreale driften, einen natürlichen, lebensnahen Stil mit zurückhaltenden, fast schon dokumentarischen Bildern zu schaffen. Sobald aber das schockierende Element zum Vorschein kommen soll, hält sich der Regisseur alles andere als zurück. Gewaltdarstellungen sind bei Sion Sono gewohnt explizit und fallen alles andere als zimperlich aus, zeigen sich aber auch oft auf gewisse Weise schwarzhumorig. Da Cold Fish weit weniger komödiantisch als Love Exposure daherkommt, tritt der bitterböse Humor allerdings etwas hintergründiger auf.
Die schauspielerischen Leistungen, alle voran Denden als Murata, stehen der Intensität der sich zuspitzenden Handlung im Übrigen in nichts nach. Muratas Eindringlichkeit transportiert eine kalte Grausamkeit und in Anbetracht von Nobuyukis Ohnmacht eine Hoffnungslosigkeit, die den Film so stark machen. Statt eines surrealen Horrorfilms oder eines pervertierten vierstündigen Liebesepos, serviert Sion Sono seinen Zuschauern dieses Mal ein düsteres, kraftvolles Drama über einen ordinären Zierfischverkäufer, der in einem Strudel der Gewalt zu ertrinken droht.