Coraline

 Coraline

Vor gut einer Woche wurde bekannt, dass Henry Selick an einem neuen Projekt arbeiten wird, an einer Romanverfilmung namens A Tale Dark & Grimm, bei der es sich um eine Art Crossover-Geschichte verschiedener Grimm’scher Märchen handelt. Besonders interessant ist dabei die Information, dass daraus ein Film mit echten Schauspielern entstehen soll, obwohl Selick aufgrund seines bisherigen Schaffens vor allem als Meister der morbiden Stop-Motion-Animationsfilme bekannt geworden ist. Zu seinen populärsten Werken gehören der 1993 nach einer Story von Tim Burton gedrehte The Nightmare Before Christmas und sein bisher letzter Film, Coraline, dessen Fertigstellung bereits vier Jahre zurück liegt und auf den wir im folgenden einen genaueren Blick werfen werden.

Es ist furchtbar langweilig, findet die elfjährige Coraline (Dakota Fanning). Ihre vielbeschäftigten Eltern sind mit ihr in eine Wohnung in einer inzwischen zum Mehrfamilienhaus umgebauten Landvilla gezogen und haben kaum noch Zeit für sie. Kein Wunder also, dass sich das junge Mädchen in der Nachbarschaft umsieht, doch weder der nervig-geschwätzige Nachbarsjunge Wybie (Robert Bailey Jr.), noch der russische Akrobat Mr.Bobinsky Ian McShane) oder die ehemalihen britischen Varietékünstlerinnen Miss Spink (Jennifer Saunders) und Miss Forcible (Dawn French) geben ihr die Form von Aufmerksamkeit, die sie sucht. Da kommt es Coraline nur allzu gelegen, dass sie eines Nachts eine geheime Tür entdeckt, die zu einer Parallelwelt führt. Diese fremde Welt ist der Wirklichkeit nicht unähnlich, jedoch mit dem gravierenden Unterschied, dass Coraline zum Mittelpunkt aller Interessen wird. Die Langeweile scheint wie verflogen. Doch das neugefundene Glück hat seinen Preis…

Die Geschichte basiert auf dem gleichnamigen Kinderbuch von Neil Gaiman, dessen fantastische Stoffe oft wunderbare Verfilmungen wie Der Sternwanderer (Matthew Vaughn, 2007) und MirrorMask (Dave McKean, 2005) hervorbringen. Coraline ist ein morbides, gruseliges Abenteuer für Groß und Klein. Das wird deutlich in der Schlaraffenlandmotivik, die zum Vorschein kommt, wenn sich die Schönheit der Parallelwelt als Fassade entpuppt, hinter der eine hässliche, gefährliche Fratze steckt. Wer in dieser scheinbar perfekten Welt bleiben möchte, muss seine Augen lediglich durch Knöpfe ersetzen, das trägt man dort schließlich so. Als sich Coraline weigert, wird der Traum zum Alptraum. Die deutsche Promotion wirbt mit dem Slogan „Pass auf was du dir wünscht“ und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Der voreilige Wunsch nach einer Realität, in der sich die Eltern pausenlos um ihr Kind kümmern, in der die Mutter regelmäßig die köstlichsten Speisen serviert und in der der Vater seinen Garten nach dem Antlitz seiner Tochter gestaltet, steht sinnbildlich für das egoistische Verkennen der Werte, die man in der Wirklichkeit hat, würde man doch nur genauer hinsehen.

Dieses Äquivalent zum erwähnten Schlaraffenland wird dabei durch feinste Stop-Motion-Technik inszeniert. Farbenfroh und detailverliebt, so kennt man die Settings und Figurendesigns von Henry Selick. In der Hinsicht bietet Coraline gewohnt höchste Qualität. Um seine Vision zu realisieren griff Selick auf rund 450 Animateure und Modellierer zurück. Heutzutage ist es nicht einfach, bestimmten Sequenzen ganz ohne CGI eine ansehnliche Form zu geben, weswegen es auch vollkommen verständlich ist, dass in diesen farbenfrohen, handgemachten Kulissen hier und da auf unterstützende Computereffekte zurückgegriffen wird. Doch alle Zweifler seien unbesorgt, ihr Einsatz ist dezent und fällt zu keinem Zeitpunkt störend ins Gewicht. Im Gegenteil, gerade im Finale ist es besonders eindrucksvoll, wenn sich alle Schönheit und Niedlichkeit in charmant-grotesken Grusel verwandelt, der seinerzeit auch The Nightmare Before Christmas zu dem schaurigen Spaß machte, den man an Halloween in der Familienrunde genießen sollte.

Durch seine intelligente Coming-of-Age-Handlung und die technisch makellose Ästhetik ist bei Coraline eigentlich für jeden etwas dabei, egal ob jung oder alt. Spaßige Unterhaltung mit einer frechen und gleichermaßen liebenswerten Protagonistin, die auf der Suche nach einem Platz in der Welt in eine gefährliche Dimension gerät. Ideal, um den Oktober in der Nacht der Geister ausklingen zu lassen.

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