The World of Kanako

The World of Kanako - FilmplakatVier Jahre nach der kompromisslosen Kälte seines letzten Films, Geständnisse (2010), meldet sich Tetsuya Nakashima mit dem fulminanten Exploitation-Detective-Thriller-Mix The World of Kanako zurück und tauscht jeden Funken Hoffnung radikal durch einen äußerst nihilistischen Blick auf die Dinge aus.

Schwitzend, emotional instabil und mit dem Alkohol in der Hand: Fujishima (Kôji Yakusho) ist ein ehemaliger Polizist und auf dem besten Weg, auch ehemaliger Familienvater zu werden, denn nicht nur wird er von seinen Ex-Kollegen verdächtigt, in einen Dreifachmord involviert zu sein, sondern seine Ex-Frau teilt ihm zur gleichen Zeit panisch am Telefon mit, dass ihre gemeinsame Tochter, die siebzehnjährige Kanako (Nana Komatsu), bereits seit einer Woche spurlos verschwunden ist. Fujishima macht sich eigenhändig auf die Suche und obwohl er selbst alles andere als ein liebenswerter Zeitgenosse ist, dringt er immer tiefer in eine Welt vor, die Kanako als das schockierende Gegenteil einer unschuldigen Schülerin offenbart.

Wo man dem hartgesottenen Protagonisten einer typisch zynischen Ex-Cop-Story für gewöhnlich ein Gegengewicht durch moralisch reine Charaktere verleiht, wird uns dieser Kontrast in The World of Kanako gnadenlos verwehrt. Fujishima trinkt, schlägt, schimpft und vergreift sich sogar an unschuldigen Frauen, wenn dieses Mittel ihn näher an sein Ziel führt, doch die edle Erlösung für ihn und den Zuschauer muss immer mehr bezweifelt werden, je mehr von Kanakos eigenen manipulativen, zerstörerischen Handlungen an die Oberfläche gelangen.

Inszenatorisch ist Nakashimas Film einmal mehr über jeden Zweifel erhaben. Nachdem er ominös direkt mit den Sätzen „Ich liebe dich“ und „Ich werde dich töten“ einsteigt, wird er zu einer elliptischen Ermittlungsgeschichte, die uns Fujishima als Ekelpaket von einem Charakter fragmentarisch näherbringt, während es bereits in den ersten fünf Filmminuten sexuell und gewalttätig zur Sache geht. Was in den nächsten zwei Stunden folgt, bewegt sich irgendwo zwischen der hysterischen Radikalität eines Sion Sono, den finsteren Abgründen eines Kim Ki-duk und der poetischen Bildgewalt von Park Chan-wook. Dazu gesellt sich ein lässiges, rücksichtsloses Zusammenspiel von Kamera, Schnitt und Musik, das an Exploitationfilme vergangener Dekaden und an Quentin Tarantino erinnert.

Wem bereits Sonos extremere Ausflüge in eine Welt ohne Werte missfallen, der kann sich auch getrost von The World of Kanako fernhalten, denn Nakashima nutzt jede Gelegenheit, um auch nur der geringsten Möglichkeit eines Hoffnungsschimmers satte Fausthiebe zu verpassen, sie brutal zu überfahren oder geradezu sadistisch mit einem Teppichmesser zu traktieren. Er lässt den mit einer eindrucksvollen Leinwandpräsenz ausgestatteten Kôji Yakusho wie masochistisch immer weiter in Richtung absoluter Leere kämpfen, bis schließlich alles ausgelöscht ist, das beim Zuschauer noch irgend ein positives Gefühl hätte hervorrufen können. Übrig bleibt einer der Höhepunkte in Tetsuya Nakashimas Schaffen und ein Film mit brutalem Kultpotential.


Originaltitel: Kawaki
Regie: Tetsuya Nakashima
Drehbuch: Tetsuya Nakashima, Miako Tadano, Nobuhiro Monma
Produktionsland: Japan
Produktionsjahr: 2014

Copyright der Bilder: Rapid Eye Movies

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4 Gedanken zu “The World of Kanako

  1. Muss hier ein Werk erwartet werden, das wortwörtlich alles einreißt, wie es „Geständnisse“ damals tat? Letzterer hatte ein paar arg überdrehte Szenen, die mir in dem subtilen Kontext total missfielen…

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    1. Auch wenn ich gerade das in „Geständnisse“ liebe und generell bei Nakashima oder eben bei vergleichbaren Filmen von Sono begrüße, ist „The World of Kanako“ eigentlich schon von Anfang an so drauf. Dieser subtile Anfang mit seinem langsamen, faszinierenden Sog in „Geständnisse“ ist hier bereits in den ersten Minuten einem drastischen Style gewichen. Ein irrer Mix aus Sono und Tarantino, der dreckig beginnt und nur immer dreckiger wird.

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