Santa Sangre

Santa Sangre

Nachdem Alejandro Jodorowskys Dune-Projekt Mitte der Siebziger Jahre gescheitert war und er 1980 mit Tusk einen Film drehte, der kaum etwas mit seiner einzigartigen Handschrift gemein hatte, kehrte der Regisseur 1989 endlich zu seinen surrealistischen Wurzeln zurück, die El Topo (1970) und Montana Sacra (1973) einst ausgezeichnet hatten. So entstand mit Santa Sangre ein bizarres, aber vor allem sehr emotionales Drama um einen verstörten Mann, der unter dem Willen seiner besitzergreifenden Mutter zu leiden hat.

Die Handlung beginnt mit dem Protagonisten Fenix im Kindesalter (Adan Jodorowsky), der bei einem Wanderzirkus aufwächst. Sein Vater Orgo  (Guy Stockwell) ist der tätowierte Messerwerfer der Show, seine Mutter Concha (Blanca Guerra) ist Trapezkünstlerin. Während Orgo allerdings seine sexuellen Gelüste auf seine Messer überträgt, hält Concha von derlei weltlichen Versuchungen nichts und leitet stattdessen eine Kirche, in der eine Heilige angebetetet wird, die vor langer Zeit Opfer einer Vergewaltigung war und beide Arme abgetrennt bekommen hatte. Versinnbildlicht wird dies durch das titelgebende „heilige Blut“ der Verehrten, das in Wahrheit nur ein Becken voller roter Farbe ist. Doch schon bald überschlagen sich die Ereignisse und lassen den jungen Fenix vollkommen traumatisiert zurück. Er muss nämlich mit ansehen, wie die eifersüchtige Concha ihrem Mann den Genitalbereich wegen Fremdgehens verätzt, Orgo jedoch schlägt ihr vor seinem Ableben schließlich beide Arme ab. Fenix vegetiert daraufhin die nächsten Jahre in einer Irrenanstalt vor sich hin. Als eines Tages Concha wieder auftaucht und ihren mittlerweile erwachsenen Sohn (Axel Jodorowsky) aus der Anstalt holt, hat sie nur eines im Sinn: Fenix soll fortan wörtlich ihre Arme ersetzen. Sklavisch beugt sich der junge Mann seinem Schicksal, bis plötzlich eine fast vergessen geglaubte Kindheitsfreundin, Alma (Sabrina Dennison), auftaucht, die seine Schale aus blindem Gehorsam und unterdrückten Gefühlen aufzubrechen vermag.

Zwar inszeniert Jodorowsky seinen Film mal wieder als groteskes Spektakel voller surrealer Skurrilitäten, doch bleibt er hier vergleichsweise bodenständig. Im Gegensatz zu seinen früheren Werken ist die Welt von Santa Sangre weit weniger metaphorisch aufgeladen. Zwar sind die Charaktere und ihre Geschichten nach wie vor äußerst ungewöhnlich, ja geradezu als seltsam zu bezeichnen, doch die groß angelegten existentialistischen Symbole, die den Zuschauer zum intensiven Nachdenken anregen sollen, sucht man eher vergebens. Nicht der Geist steht dieses Mal im Vordergrund, sondern die Gefühle. Wie schon früher entschied sich Jodorowsky dafür, in den wichtigen Szenen Bilder statt Worte sprechen zu lassen. Besonders der Umstand, dass Alma stumm ist und ihre Zuneigung zu Fenix nur über Gestik und Mimik ausdrücken kann, sorgt hierbei für starke emotionale Szenen.

Das Drama ist zwar aufgrund seines weniger kryptischen Plots möglicherweise zugänglicher als El Topo und Montana Sacra, aber von Massentauglichkeit ist der Film nach wie vor ein Stück entfernt. Die Symbole und Metaphern sind nicht so verschlüsselt wie man sie von Jodorowsky erwarten könnte, aber nach wie vor in nicht wenigen Szenen präsent und unterstreichen den unverwechselbaren visuellen Stil des Kultregisseurs. Gewaltszenen gibt es außerdem nicht viele, aber wenn, dann sind sie gewohnt grafisch inszeniert. Santa Sangre ist letzlich ein ergreifendes, mit Bedacht in Szene gesetztes Werk, das seine surreale Natur zu keinem Zeitpunkt gänzlich verleugnen kann oder will.

Montana Sacra

Montana Sacra

In den Siebzigern avancierte der Chilene Alejandro Jodorowsky zum Kultregisseur des surrealistischen Mitternachtskinos. Zum einen ist dafür sein existentialistischer Experimentalwestern El Topo (1970) verantwortlich, auf der anderen Seite ließ er jedoch drei Jahre später mit Montana Sacra ein nicht minder künstlerisch wertvolles und beeindruckendes Werk über die Suche nach Erleuchtung folgen.

Der Film handelt von einem Dieb (Horacio Salinas), der in einer Gesellschaft sein Dasein fristet, die von gewalttätigem und pervertierten Religionsfanatismus beherrscht wird. Von Gold angelockt, erklimmt er mitten in der Stadt einen hohen Turm, den ein geheimnisvoller Alchemist (Alejandro Jodorowsky) bewohnt. Dieser macht den unwissenden Dieb durch ein mystisches Initiationsritual zum Teil einer ungewöhnlichen Zusammenkunft. Sieben weitere kuriose Personen fügt der Alchemist zu einer illustren Gemeinschaft zusammen und holt sie zu diesem Zweck aus den merkwürdigsten Welten. Als alle beisammen sind, beginnt eine spirituelle Reise, bei der jeder von ihnen seinem eigenen Selbst entsagen soll, sodass nur noch ein kollektives Bewusstsein der acht Gefährten übrig bleibt. Denn nur auf diese Weise ist es möglich, die Erleuchtung auf dem heiligen Berg zu finden und das Geheimnis der Unsterblichkeit zu erfahren, nach dem der Alchemist strebt.

Montana Sacra ist eine seltsame Reise, die sich vor allem nicht mit gesellschaftskritischen Ansätzen zurückhält. So wird bereits zu Beginn des Films ein blutrünstiger Angriff europäischer Eroberer auf die Stadt einer alten mexikanischen Hochkultur modellhaft mit verkleideten Echsen inszeniert. Oder aber als der Dieb erwacht und feststellt, dass man mit einem Gipsabdruck seiner selbst Unmengen an Jesusfiguren hergestellt hat, wird nur allzu deutlich, in welch abstruse Richtungen Religionen abdriften können. Besonders auffallend sind allerdings auch die Charaktere und ihre bizarren Welten, die sie bewohnten, bevor der Alchemist sie zur Suche zusammenführt. Da wäre beispielsweise Klen (Burt Kleiner), der Spielzeuge herstellt, in die zugleich immer auch Waffen implementiert sind, um Kinder bereits frühzeitig auf kriegerische Auseinandersetzungen vorzubereiten oder Axon (Richard Rutowski), ein respektierter und gefürchteter Herrscher, der unloyale Untertanen öffentlich kastrieren lässt. Die übrigen fünf Gefährten, die den Dieb begleiten sollen, sind nicht weniger skurril.
In ästhetischer Hinsicht verpasst Jodorowsky seinem Film zudem einen ganz eigenen unverkennbaren Stil. Seien es die intensive Farbwahl und Symmetrie im Turm des Alchemisten oder die verrückten Kostüme, Montana Sacra ist in jeder Szene ein außergewöhnlich merkwürdiges Kunstwerk.

Auch wenn Alejandro Jodorowsky insgesamt nicht viele Filme vorzuweisen hat, so ist Montana Sacra doch keinesfalls ein unwichtiges Werk. Diese Suche nach einem der größten Geheimnisse der Alchemie ist manchmal meditativ, an anderen Stellen wiederum einfach enorm abgedreht, bis es schließlich in einem sehr interessanten Finale kulminiert.
Jodorowskys Stil ist eigenwillig und versucht gar nicht erst, sich in irgendwelche bekannten Muster zu zwängen. Wenn man jedoch eine gehörige Portion Offenheit mitbringt, wird Montana Sacra zu einem der intensivsten und inspirierendsten Filmerlebnisse überhaupt.