Aguirre, der Zorn Gottes

Aguirre, der Zorn Gottes - FilmplakatBevor Werner Herzog seinen liebsten Feind Klaus Kinski in Fitzcarraldo (1982) als wahrhaft überpassionierten Opernliebhaber in den Dschungel schickte, führte er ihn bereits zehn Jahre zuvor auf eine waghalsige Expedition in den Regenwald, deren Scheitern – wie auch die Entstehung des Filmes selbst – schon im Voraus gewiss zu sein scheint. Aguirre, der Zorn Gottes war ein ambitioniertes Projekt, gespickt mit gefährlichen Widrigkeiten. Die Geschichte des Films ist tatsächlich untrennbar mit seinen sehr problematischen Produktionsbedingungen verknüpft. Weiterlesen „Aguirre, der Zorn Gottes“

My Son, My Son, What Have Ye Done

My Son My Son What Have Ye Done

Einige staunten nicht schlecht, als in den ersten Informationen zu My Son, My Son, What Have Ye Done zu lesen war, dass Werner Herzog auf dem Regiestuhl sitzen würde und kein geringerer als David Lynch als ausführender Produzent an dem Projekt beteiligt sei. Denn eines war sicher: Die ungewöhnliche Zusammenarbeit zwischen dem Autorenfilmer, der seine Charaktere nicht selten bis an ihre physischen und psychischen Grenzen treibt und dem Meister der surrealen Paranoia konnte schließlich nur einen außergewöhnlichen Film hervorbringen. Doch kann das Drama die Erwartungen auch erfüllen?

Die Handlung basiert auf einer wahren Begebenheit und erzählt die Geschichte vom Studenten Brad McCullum (Michael Shannon), der seine Mutter (Grace Zabriskie) beim nachbarschaftlichen Kaffeekränzchen mit einem Schwert ermordet. Als die Polizei am Tatort in der Vorstadt San Diegos ankommt, hat sich der Täter bereits in seinem eigenen Haus verbarrikadiert. Detective Havenhurst (Willem Dafoe) und sein Partner Vargas (Michael Peña) umstellen das Haus und verweilen in Lauerstellung, denn Brad hält nach eigener Aussage zwei Geiseln gefangen.
Soweit der Rahmen, für den Herzog sich wie schon in Bad Lieutenant (2009) einer Kriminalgeschichte bedient. Erneut geht es allerdings gar nicht so sehr um den Plot, sondern viel mehr um die Wandlung und die Beweggründe des Hauptcharakters. Hierzu wird auf eine konventionelle Erzählstruktur verzichtet und der Film durch die Aussagen von Brads Freundin Ingrid (Chloë Sevigny) und dem Leiter seiner Schauspielgruppe Lee Meyers (Udo Kier) in Rückblenden erzählt.

Was verleitet einen Mann dazu, seine eigene Mutter mit einem Schwert niederzustrecken? Herzog zeigt, dass so eine Tat nicht einfach aus einem simplen, rationalen Grund hervorgehen kann. Die Inspiration für den Mord erhielt Protagonist Brad zwar durch seine Theatergruppe, mit der er die griechische Tragödie Orestie probt, in welcher der Protagonist Orestes schließlich seine Mutter tötet, um den Mord an Agamemnon zu rächen, aber dass in Brads Kopf der Wahnsinn wuchern und ihn zu einem mehr und mehr entrückten Menschen werden lassen kann, hat natürlich mehrere, emotional tiefer sitzende Ursachen. Auffallend ist in der Hinsicht besonders die übertriebene Fürsorge und Zuwendung, die er unablässlich von seiner Mutter erfährt. Von dieser unaufhörlichen Bemutterung fühlt sich Brad sichtlich erdrückt und eingeengt. Doch nachhaltig verstört wurde er bei einem Trip in Peru. Auf die Frage, ob er seine Freunde beim Riverrafting begleiten will, verneint er, weil ihn eine innere Stimme gewarnt hat. Ein Entschluss, der ihn letztlich vor dem Ertrinken rettete. Seit seiner Rückkehr will Brad allerdings Farouk genannt werden und meint, Gott auf Frühstücksflockenpackungen und in Schlagersängern zu erkennen.
Immer mehr zieht sich der Mann zurück, in seinem Kopf gewinnt der Wahnsinn die Überhand, bis er schließlich mit dem Schwert bewaffnet auf dem Kaffeekränzchen auftaucht. Mit Michael Shannon scheint Herzog den entrückten Muttermörder ideal besetzt zu haben, denn allein der psychopathische Blick des Schauspielers weiß bereits auf ganzer Linie zu überzeugen. Das Problem an den verschiedenartigen emotionalen Impakten ist jedoch, dass sie oft mehr angedeutet oder nur grob erzählt werden. Wie es in Brads Geist vorgeht, lässt sich nur erahnen und anhand seiner Taten vage rekonstruieren. Die Handlung bleibt durchgehend auf Brad gerichtet, aber auf eine distanzierte Weise, die das Hineinversetzen in den Charakter erschwert. Nichtsdestotrotz ist dem Regisseur mal wieder eine starke, düstere Grundstimmung gelungen.

Die Handschrift Werner Herzogs ist klar erkennbar. Die kontrastreichen Bilder der amerikanischen Vorstadt erinnern an Bad Lieutenant, während die so häufigen Naturaufnahmen in Herzogs Schaffen mit den Szenen im peruanischen Dschungel abgedeckt werden. Dass David Lynch als ausführender Produzent auf dem Cover prangt, hat, so gewinnt man den Eindruck, hingegen eher werbetechnische Gründe, denn My Son, My Son, What Have Ye Done ist ein Herzog-Film durch und durch. Nach den Einflüssen von Lynch muss man eher gezielter suchen. Das Casting von Grace Zabriskie als Brads Mutter, die bereits in Inland Empire (David Lynch, 2006) als merkwürdige Nachbarin auffiel, sowie vereinzelte Szenen – wie beispielsweise jene mit den Sträußen – lassen eine gewisse lyncheske Atmosphäre aufkommen, aber letztendlich bleibt der Film ein merkwürdiges, bisweilen langsames Drama von Werner Herzog, das von einem Meisterwerk zwar ein gutes Stück entfernt ist, aber ansonsten weitgehend zu überzeugen weiß.

Fitzcarraldo

Fitzcarraldo

Klaus Kinski äußerte sich zu seinem Verhältnis zu Regisseur Werner Herzog desöfteren mal wertschätzend, mal herablassend. Und trotz stets auftretender Differenzen, zog es den impulsiven Kinski immer wieder zu Herzog und seinen Filmen, um eine entscheidende Rolle darin zu spielen. Eine wichtige Zusammenarbeit ist der bildgewaltige Film Fitzcarraldo, dem man letztendlich seine nahezu wahnwitzigen Produktionsbedingungen nicht anmerkt, obwohl Körper und Geist eines jeden Beteiligten bis zum Äußersten gehen mussten, um dieses Werk zu vollenden.

Kinski mimt den Protagonisten der Geschichte, den Träumer Brian Sweeney Fitzgerald, allerorts nur Fitzcarraldo genannt, der nach dem Scheitern eines Eisenbahnprojektes seine Vision von einem Opernhaus inmitten des Regenwaldes realisieren möchte. Für die Eröffnung der Oper hat er außerdem natürlich niemand geringeren als den von ihm verehrten Star Enrico Caruso vorgesehen. Da bloße Zielstrebigkeit nicht ausreicht, benötigt Fitzcarraldo dringend Geld. Mit Hilfe seiner Freundin, der Bordellbesitzerin Molly (Claudia Cardinale) gelingt es ihm, ein Stück Land zu erwerben, dessen Kautschukbäume er zu großem Geld machen will. Doch das Gebiet ist derart unzugänglich und gefährlich, dass Fitzcarraldo nichts anderes übrig bleibt, einen kühnen Plan ins Auge zu fassen: Um das Ziel zu erreichen, hat er vor, mit einer Crew und einem Dampfschiff den Fluss hinabzufahren und an einer entscheidenden Stelle einen Berg zu überwinden – mit Schiff, versteht sich. Dass dieses Unterfangen alles andere als unproblematisch wird, ist schnell ersichtlich.

Dass Werner Herzog ablehnte, das Ziehen des Dampfschiffes über den Berg in einem Studio zu drehen, wirkte sich zwar zunächst negativ auf Kosten, Aufwand und Zeit der Filmproduktion aus, aber zahlte sich am Ende aus: Fitzcarraldo lebt von einer dichten und athentischen Atmosphäre, die der ohnehin nicht uninteressanten Grundidee nur zu Gute kommt. Zahlreiche Indios mühen sich an komplexen Zugkonstruktionen aus Holz und Seilen ab, um das Schiff den Berg hinauf zu hieven. Herzog besteht stets darauf, keine Filmtricks mit Modellen u.Ä. für solche Szenen anzuwenden und ausschließlich an Originalschauplätzen zu drehen; umso beeindruckender sind schlussendlich die fertigen Bilder und brachten ihm auch verdientermaßen einige Auszeichnungen ein, unter anderem den Regiepreis in Cannes.
Die andere tragende Rolle neben dem Dampfschiff hat natürlich, wie erwähnt, Klaus Kinski als titelgebender Antiheld. Er spielt gewohnt gut und erneut ist es ein Charakter, der von seiner Obsession geleitet wird, doch im Gegensatz zum gefährlichen Konquistador in Herzogs Aguirre, der Zorn Gottes (1972), blitzt im Opernliebhaber Fitzcarraldo viel seltener der Wahnsinn durch; viel besonnener will er seinen Traum verwirklichen.

Auf visueller Ebene ist Fitzcarraldo ein beachtliches Werk. Herzog erzeugt mit seinen stimmungsvollen Dschungelaufnahmen eine beeindruckende Bildgewalt. Begleitet wird das Ganze vom gelungenen Soundtrack der Band Popol Vuh, die schon früher mit Herzog kollaborierte und hier nun Fitzcarraldo und seinem Opernprojekt eine fast heilig anmutende Note verleihen.

Die vier Jahre der aufwändigen Produktion von Fitzcarraldo gestalteten sich für Herzog und Co. mindestens genauso abenteuerlich wie die Geschichte, die der Film erzählt, aber die Qualität hat dadurch nicht gelitten, im Gegenteil. Fitzcarraldo ist ein wuchtiges zweieinhalbstündiges Abenteuer im Regenwald und vielleicht das zentrale Werk in der Zusammenarbeit von Herzog und Kinski; ein Film, den man gesehen haben sollte.