Vinyan

Vinyan - FilmplakatTropische Hitze und drückende Luftfeuchtigkeit – steht der Sommer vor der Tür oder Fabrice Du Welz‘ Arthaus-Horrordrama Vinyan auf dem Programm? Letzteres verschlägt Rufus Sewell und Emmanuelle Béart in den Regenwald von Myanmar, dessen Unterholz finstere Geheimnisse verbirgt. Weiterlesen „Vinyan“

A Film with Me in It

A Film with Me in It

Komödien, deren Humor schwarz wie die Nacht ist, findet man in Europa vor allem in den nördlichen Gefilden. Die skandinavischen Länder haben da so einiges zu bieten, aber auch Großbritannien blickt auf eine lange Tradition bitterböser Komik zurück. Ein kleiner Schwenk in westliche Richtung bringt uns heute aber nach Irland, zu einem Low-Budget-Film, der sein Publikum über eine Reihe unglücklicher Todesfälle lachen lässt, Ian Fitzgibbons A Film with Me in It.

Mark (Mark Doherty) hat sicher schon bessere Momente in seinem Leben gehabt: Mit der Schauspielerei will es nicht so richtig klappen, seine Freundin Sally (Amy Huberman) lässt ihn sitzen und seine Wohnung gehört eigentlich gründlich renoviert. Sein Kumpel Pierce (Dylan Moran) wäre der geborene Filmemacher, wenn er doch nur endlich ein Drehbuch zustande brächte. So bleibt ihm momentan mit voller Hingabe nur der Alkohol.
Ohne allzu sehr ins Detail zu gehen und dadurch möglicherweise zu viel zu verraten, bleibt für ein optimales Sehvergnügen höchstens zu erwähnen, dass sich Fitzgibbon mit der ohnehin schon trüben Erfolglosigkeit seiner beiden Protagonisten nicht begnügt und weit drastischere Probleme mit fatalen Folgen auf sie niederprasseln lässt. Es kommt zu tragischen Unfällen in der Wohnung. Und was vielleicht bei einer Person noch als solcher für Außenstehende begreiflich gemacht werden könnte, bringt Mark und Pierce mit zunehmender Zahl von Toten mehr und mehr in Erklärungsnot. Irgendwie müssen die Leichen verschwinden, denn die Polizei ist keine Option.

Dass man auch die Iren auf dem Schirm haben sollte, wenn man nach schwarzen Komödien Ausschau hält, hat vor nicht langer Zeit – der zugegeben etwas mainstreamtauglichere – The Guard (John Michael McDonagh, 2011) unter Beweis gestellt. Ian Fitzgibbon schlägt mit A Film with Me in It eine ähnliche Richtung ein, was die lakonische Grundhaltung betrifft. Stilistisch bewegt er sich allerdings schon fast in Richtung Noir-Thriller, wäre das Geschehen nicht boshaft witzig inszeniert.

Die Situation, in die Mark und Pierce geraten klingt einerseits natürlich ziemlich absurd: Jede Menge Leichen im Haus, aber es gab keinen Mord, sondern allesamt skurrile Unglücksfälle, die jeweils mit dem Tod endeten. Völlig nachvollziehbar, dass den beiden aber auch absolut niemand glauben würde, erst recht nicht die Polizei. Also muss man auf eigene Faust aus dieser misslichen Lage entkommen. Auf der anderen Seite steckt in A Film with Me in It zugleich etwas ungewöhnlich bodenständiges. Der Kontrast zwischen der schrägen Handlung und der trockenen Sachlichkeit, mit der Fitzgibbon diese herrlich bescheuerte Geschichte erzählt ist eine der großen Stärken seines Films. Ein bisschen Leerlauf gibt es allerdings auch. Die Komödie profitiert zwar von ihrer guten Prämisse, aber das ohnehin schon gemächliche Erzähltempo kann gegen Ende sogar ein wenig zäh wirken. Unterm Strich ist A Film with Me in It aber ein sehenswerter Film und gerade richtig für einen lustigen DVD-Abend mit Freunden und vielleicht dem ein oder anderen Bier.

Dante 01

Dante 01

Im Gegensatz zu den Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts aufkommenden Space Operas in den USA, wird die Science-Fiction in Frankreich damals wie heute viel mehr als philosophisch, mystisch und experimentell verstanden. Sie ist aber vor allem eines: Literarisch. Die wichtigste Bühne für außergewöhnliche Zukunftsvisionen ist gegenwärtig der Comic, beziehungsweise die Graphic Novel. Dagegen ist das Genre im Film, dem kulturellen Schoßkind Frankreichs, geradezu unterrepräsentiert, was nicht selten an der Budgetierung liegt. Die wenigen realisierten Science-Fiction-Filme haben daher oftmals mit knappen Finanzierungen zu kämpfen. Einer dieser Filme ist Dante 01, gedreht von Marc Caro.

Der Plot dreht sich um eine Gruppe Menschen auf der Raumstation Dante 01, einer Art psychiatrischem Gefängnis, das um einen Vulkanplaneten kreist und in dem mental instabile Gefangene durch psychologische Behandlungsmethoden geheilt werden sollen. Über zahlreiche Kameras haben der Stationsaufseher Charon (Gérald Laroche), zwei Wachmänner, sowie die Wissenschaftlerin Perséphone (Simona Maicanescu) die Inhaftierten rund um die Uhr im Blick. Als mit Elisa (Linh Dan Pham) eine Medizinerin mit verwerflicher Moral und ungetesteter, gefährlicher Nanotechnologie als neues Besatzungsmitglied auf die Station kommt, ändert sich die Lage. Mitgebracht hat sie außerdem einen weiteren Gefangenen (Lambert Wilson). Der mysteriöse Neuankömmling, der wegen einer entprechenden Tättowierung bald darauf Saint Georges genannt wird, ist nicht nur ein schweigsamer Unbekannter, sondern entpuppt sich auch als Mensch mit besonderen Fähigkeiten. So gelingt es ihm, seine Mitgefangenen vor Elisas tödlichen Nanomaschinen zu retten. Als jedoch César einen Mordanschlag plant, der Gefangene Attila das Computersystem unter seine Kontrolle bringt und die Raumstation droht, auf die Planetenoberfläche zu stürzen, eskaliert die Situation.

Dante 01 ist das Langfilmdebüt Marc Caros, der sich bisher durch seine Regie-Partnerschaft mit Jean-Pierre Jeunet einen Namen gemacht hatte. Gemeinsam schufen sie die Endzeitgroteske Delicatessen (1991) und die düstere Fantasy Die Stadt der verlorenen Kinder (1995). Bereits dort zeichnete sich Caros Gespür für Ästhetik ab. Langsame Kamerafahrten durch die gelungene Innenarchitektur der Raumstation sorgen für eine passende, unbehagliche Atmosphäre. Die Sektionen der beiden Gruppen sind dabei sogar durch unterschiedliche Farbpaletten distinkt hervorgehoben. Während die Räumlichkeiten der Gefangenen in Grün- und Brauntönen gehalten sind, verfolgen die Wissenschaftler das Geschehen in einem matten violetten Licht. Visuell gibt es – auch angesichts des Budgets, das nur im siebenstelligen Bereich liegen soll – nichts zu bemängeln.

Schade nur, dass das Schreiben allem Anschein nach nicht wirklich zu Marc Caros Talenten gehört. Dante 01 sieht zwar gut aus, erzählt aber eine lückenhafte, kryptische Geschichte, bei der speziell die Dialoge banal und die Symbolik übertrieben sind. Letzteres beginnt beim Titel und den als „Kreise“ bezeichneten Handlungsabschnitten, was sich unzweifelhaft auf Dante Alighieri und seine Divina Commedia bezieht, geht über die christliche Erlösersymbolik im unbekannten Gefangenen und der kreuzförmigen Form der Raumstation weiter und hört bei den Personennamen nicht auf, die allesamt nach berühmten historischen und mystischen Figuren benannt sind, nach Caros Aussage hinduistischen Chakren  zugeordnet sind und darüber hinaus noch die verschiedenen Todsünden symbolisieren. Das Ganze scheint ambitioniert, wirkt aber zu krampfhaft intellektuell und dadurch plump. Auch das farbenreiche Finale des Films wirkt mehr wie eine schlechte Kubrick-Kopie als ein bedeutsamer, zum Nachdenken anregender Abschluss.
Dabei war mit Pierre Bordage immerhin noch ein renommierter Bestsellerautor aus der Science-Fiction am Drehbuch beteiligt. Leider vermochte auch er nicht, dem Film einen vernünftigen Spannungsbogen zu verpassen. Die Charaktere wurden zwar mit unterscheidbaren Charakterzügen versehen, aber bleiben letztlich allesamt blass. Möglicherweise hätte die Handlung eine gute halbe Stunde länger sein müssen, um Platz für Entfaltung zu bieten. So aber bleibt ein fader Nachgeschmack.

Es ist nicht so, dass Dante 01 ein völliger Reinfall wäre; das visuelle Konzept ist sehr gut umgesetzt worden, aber die Handlung hätte weit mehr Feinschliff vertragen können. Letztlich bleibt der Film für Genrefans nach wie vor interessant, aber auch stets mit dem Bewusstsein, dass es bessere Alternativen gibt.

Love Exposure

Love Exposure

Regisseur Sion Sono hält sich zwar für gewöhnlich ohnehin nicht an filmische Konventionen, was er bereits in Filmen wie Strange Circus (2005) und Noriko’s Dinner Table (2005) eindrucksvoll unter Beweis stellte; mit Love Exposure allerdings, einem vierstündigen Wahnsinn zwischen Perversion, Katholizismus, Liebe und Gewalt, beschert er nicht nur seinem persönlichen Œuvre, sondern auch dem japanischen Kino einen Meilenstein von ganz besonderer Art.

Im Mittelpunkt der überaschend kurzweiligen vier Stunden Filmhandlung stehen zwei junge Menschen, die ganz offensichtlich füreinander bestimmt sind, obwohl sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Zum einen ist da Yû (Takahiro Nishijima), ein nach seiner wahren Liebe – seiner „Maria“ – suchender Pastorensohn mit absolut reinem Gewissen, der nie auch nur die geringste Sünde begangen hat. Dennoch wird er tagein, tagaus von seinem Vater zur Beichte beordert, seitdem dieser nach seiner letzten gescheiterten Beziehung sein Heil noch intensiver und fanatischer im Glauben sucht. Dass Yû allerdings keine Sünden vorzuweisen hat, enttäuscht und verärgert seinen Vater nur umso mehr. So schließt sich der brave Schüler einigen Jugendlichen an, mit denen er gemeinsam von einem erfahrenen Meister im Fotografieren von Frauenunterhosen unterrichtet wird. Fortan entwickelt die Bande immer neuere und effektivere Techniken, mit denen sie ihre Kameras unbemerkt unter die Röcke zahlreicher junger Frauen huschen lassen, um am Ende der Woche stets voller Enthusiasmus das beste geschossene Bild zu küren. Innerhalb kürzester Zeit wird Yû zum Experten, zum Helden aller Perversen, doch die Liebe hat für ihn seine „Maria“ vorgesehen, die er schließlich in der rebellischen Yôko (Hikari Mitsushima) gefunden zu haben scheint.
Wäre er jedoch aufgrund einer verlorenen Wette nicht in jenem entscheidenden Moment in Frauenkleidern unterwegs, dann hätte sich Yôko auch nicht in die mysteriöse, in schwarz gewandete Frau verliebt, die sie vor sich zu sehen glaubt. Als wäre das Liebeskonstrukt damit nicht kompliziert genug, verlieben sich kurioserweise Yûs Vater und Yôkos Mutter ineinander. Sympathien hat Yôko für ihren neugewonnenen „Bruder“ allerdings keine übrig. Zu diesem Protagonistenduo, das immer wieder zwischen Liebe, Hass und Geschlechterverwechslung hin- und hergeworfen wird, gesellt sich dann auch noch die manipulative Koike (Sakura Andô), für die das Aufeinandertreffen von Yû und Yôko zu ihren ganz eigenen wahnsinnigen Plänen gehört.

Dass ein überlanger Plot mit 60-minütigem Prolog, sowie zahlreichen angerissenen Genres und Motiven derart gut funktioniert, ist eine starke Leistung. Sono neigt ja ohnehin schon immer gern zu plötzlichen Wechseln von Erzähltempo, -tenor und -inhalt, aber in Love Exposure perfektioniert er diese Radikalität auf eine solche Weise, dass man als Zuschauer nicht jede Minute aufs Neue irritiert wird, sondern trotzdem alles als homogene Einheit wahrnimmt. Geht es in einem Augenblick noch um witzig inszenierte Liebesprobleme, bekommt man nur wenig später bereits eine blutige Kastrationsszene zu sehen. Diese Stimmungswechsel von heiter-romantisch zu verstörend-düster inszeniert Sono mit einer außerordentlichen Stilsicherheit, die auch notwendig ist, um das verrückte Feuerwerk an Ideen und Gegensätzen über 237 Minuten Laufzeit nicht zu einer langweiligen Aneinanderreihung von verschiedenartigen Eindrücken werden zu lassen und in der Komödie, Drama, Action, Splatter und Romantik mühelos ineinander überfließen, als gehörten sie schon immer zusammen.
Was die Motive selbst anbelangt, so darf man bei Sono nicht auf Subtilität hoffen. Ob religiöser Fanatismus gegen sektenartiges Götzentum oder reine unschuldige Liebe gegen lüsterne Sünderei, Parallelitäten und Gegensätze werden dem Zuschauer förmlich ins Gesicht gedrückt. Davon muss man sich allerdings nicht zwingend in seinem Seherlebnis gestört fühlen, wenn man sieht, wie sich die Charaktere von einer irrwitzigen Situation zur nächsten durch den abgedrehten Plot hangeln. Wenn auf der Leinwand ein Mustersohn über eine solche enorme Filmlaufzeit erst zum perversen Sünder, dann zur Drag Queen und schließlich zum verzweifelten Liebenden wird, der dabei seine erste Erektion erlebt und letzlich alles für die Liebe seines Lebens auf Spiel setzt, dann kann man gar nicht anders als mitfiebern.

Love Exposure ist auf der einen Seite mitreißendes Liebesdrama und bizarre Komödie zugleich, andererseits aber auch ein Film, der alle nötigen Klischees und Vorurteile über die japanische Gesellschaft karikiert. Hinzu kommt der radikale Stil von Sion Sono, der sich ohne Zurückhaltung austobt und zusammen mit der starken Leistung seiner drei jungen Hauptdarsteller ein herausragendes Werk geschaffen hat, das in keiner Filmsammlung fehlen sollte.

Brügge sehen… und sterben?

Brügge sehen und sterben

2008 feierte das Spielfilmdebüt des irischen Regisseurs Martin McDonagh seine Weltpremiere auf dem Sundance Festival und brachte ihm in der Folge verdientermaßen eine Oscarnominierung für das beste Originaldrehbuch ein. In Bruges, der in Deutschland unter dem kreativeren Titel Brügge sehen… und sterben? erhältlich ist, wurde von Kritikern und Fans gleichermaßen positiv aufgenommen. McDonagh, der ursprünglich aus dem Theaterbereich kommt, hatte schon zuvor mit seinem Kurzfilm Six Shooter (2004) einen Academy Award gewonnen und damit eindrucksvoll bewiesen, dass er sein Handwerk nicht nur auf der Bühne beherrscht.

Brügge sehen… und sterben? beginnt, wie der Filmtitel bereits andeutet, in Brügge, dem mittelalterlichen Herzen Belgiens. Die irischen Auftragskiller Ray (Colin Farrell) und Ken (Brendan Gleeson) wurden von ihrem leicht reizbaren Boss Harry (Ralph Fiennes) nach Brügge geschickt, um nach einem vergeigten Job unterzutauchen. Während der Ken voller Interesse die zahlreichen Kirchen besichtigt, ist Ray von diesem Zwangsaufenthalt alles andere als angetan; bei seinem letzten Kirchenbesuch in London erschoss einen Pfarrer, wie es ihm aufgetragen war. Leider traf er dabei auch einen unschuldigen Jungen ungewollt tödlich und präzise in den Kopf.
Nachdem Ken telefonisch neue Anweisungen von Harry erhalten hat, beginnt die Lage, sich in eine unangenehme Richtung zu entwickeln. Ken wird nämlich aufgetragen, Ray für sein Versagen zu erledigen, weiß aber nicht, ob er dies in der aktuellen Situation übers Herz bringen kann. Ray hingegen hat sich in der Zwischenzeit aufgrund von Schuldgefühlen, die ihn innerlich zerfressen, seine ganz eigenen Gedanken gemacht und kommt zu dem Schluss, dass er sein Leben baldmöglichst selbst beenden möchte. Als schließlich Harry gezwungen ist, ebenfalls nach Brügge zu reisen und die Dinge eigenhändig in Ordnung zu bringen, gipfelt der Film in einem packenden Finale, in dem Pistolenkugeln und moralische Prinzipien an den mittelalterlichen Kanälen aufeinander treffen.

Eine der großen Stärken des Films sind die Charaktere, insbesondere das Duo Ray und Ken, die von Colin Farrell und Brendan Gleeson mehr als nur überzeugend dargestellt werden. Ray gibt nach außen den ewig nörgelnden, gelangweilten jungen Iren, dem das beschauliche Brügge am Allerwertesten vorbeigeht. Stattdessen gewinnt seine Nervosität die Oberhand. Ray lenkt sich schon bald mit der hübschen Belgierin Chloe (Clémence Poésy) ab und entwickelt überdies eine ungewöhnliche Obsession für das Gesprächsthema Gnome. Nach einem gewaltsamen Streit im Restaurant mit anderen Gästen, sowie einer Auseinandersetzung mit Chloes Ex-Freund, dem dabei Platzpatronen ins Auge geraten, hat Ray schließlich das Ziel vom unauffälligen Untertauchen endgültig verfehlt.
Den äußerst gelassenen Gegenpol zu Ray bildet natürlich Ken, der eine ungeheure Ruhe und Kompetenz ausstrahlt. Seinen Mitmenschen gegenüber zeigt er sich derart höflich und verständnisvoll, dass niemand auch nur auf die Idee kommen könnte, dass dieser Mann sein Geld mit dem Töten von Menschen verdient. Konnte er jedoch bisher stets das Berufliche vom Privaten trennen, scheint das hier und jetzt in Brügge nicht mehr zu funktionieren, seitdem ihm Harry aufgetragen hat, Ray zu beseitigen. Jemanden, mit dem man einige gemeinsame Tage verbracht hat, erledigt man nunmal nicht einfach so wie ein anonymes Opfer.

Aus diesen so unterschiedlichen Charakteren resultiert ein weiteres Qualitätsmerkmal von Brügge sehen… und sterben?, nämlich der gelungene Spagat zwischen tragisch-ernsten Szenen und schwarzhumorigen Momenten. McDonaghs starkes Drehbuch legt den Grundstein und die herausragende Darstellerleistung tut ihr Übriges. Weder die amüsanten Dialoge, noch die ernsteren, bis hin zu brutalen Szenen wirken deplatziert. Auf experimentelle Spielchen mit der Kameraführung – zu denen so manche Regisseure bei ihrem Debütfilm neigen – verzichtet McDonagh glücklicherweise. Farbpalette und Beleuchtung wirken natürlich; die Musik drängt sich nie negativ auf. Dadurch wirkt Brügge sehen… und sterben? wie aus einem Guss, ist mit einer durchdachten Handlung und glaubwürdigen Charakteren bestückt und erweist sich als starke Mischung aus Drama und Komödie.

The Chaser

The Chaser

Mit The Chaser schuf der zuvor unbekannte Regisseur Na Hong-jin einen bemerkenswerten Thriller, der sich vor koreanischen Genregrößen wie Oldboy (Park Chan-wook, 2003) und Memories of Murder (Bong Joon-ho, 2003) nicht zu verstecken braucht, bricht er doch schließlich ebenso gekonnt wie kompromisslos mit einigen nur allzu  gut bekannten Strukturen.

Ex-Cop Joong-ho (Kim Yun-seok) ist ein mürrischer Misanthrop und verdingt sich nach seiner Suspendierung inzwischen als Zuhälter. Seit einiger zeit verschwinden allerdings seine Mädchen und schon bald stellt er fest, dass bei allen verschwundenen Prostituierten die selbe Kundentelefonnummer eingetragen ist. Joong-hos Ermittlungen lassen ihn darauf schließen, dass es sich hierbei nicht um einen mysteriösen Zufall handeln kann. Tatsächlich ist der Kunde ein psychopathischen Killer (Ha Jungwoo), der auf seine ganz eigene Art Spaß mit den Damen hat. Joong-ho steht derweil unter Zeitdruck, denn sein letztes Mädchen Mi-jin ist bereits auf dem Weg zu eben jenem besonderen Kunden.

Die ersten Minuten von The Chaser beginnen bereits spannungsgeladen, doch im Gegensatz zum üblichen Muster, bei dem der Antagonist erst gegen Filmende gestellt wird, trifft hier Joong-ho eher zufällig auf den Killer Young-min, der nach seiner Tat mit blutbespritztem Hemd  beinahe genau dort auftaucht, wo der lauernde Ex-Cop kurz davor ist, seine Suche nach dem Wohnsitz des Kunden abzubrechen. Nach einer kurzen Verfolgungsjagd durch Gassen und Hinterhöfe kann Joong-ho den Flüchtenden stellen und auf das Polizeirevier bringen. Ein ungewöhnlich frühes Ende, wenn nicht die wirkliche Jagd erst ab diesem Zeitpunkt beginnen würde. Young-min gesteht auf dem Revier sogar die Morde an den Mädchen, doch mangels Beweisen ist die Polizei nicht in der Lage, ihn länger als zwölf Stunden zu arrestieren. Als er darüber hinaus noch zugibt, dass sein letztes Opfer, Mi-jin, noch am Leben sein könnte, beginnt für Joong-ho ein Spiel auf Zeit, in dem es darum geht, die verletzte und irgendwo eingesperrte Frau zu finden, bevor der Täter wieder auf freiem Fuß ist und sich aufmacht, sein grausames Werk zu vollenden.

Die weitere Handlung des Films bietet noch so einige unkonventionelle und gerade deswegen schockierende Wendungen, bevor sie in ein abgründiges Finale kulminiert. Neben dem starken Plot und der deutlichen Kritik an der koreanischen Polizei bietet Nas Debütfilm aber auch die nötige Charaktertiefe, die im Thrillergenre leider zu oft auf der Strecke bleibt. Protagonist  Joong-ho ist alles andere als ein glänzender Held. Durch eine Korruptionsaffäre verlor er seinen Job bei der Polizei und schlägt sich nun als Zuhälter durchs Leben. Von den Problemen seiner Mitmenschen hält er nicht viel. Seinen Gehilfen behandelt er wie Dreck und seine Prostituierten schickt er zum Dienst, selbst wenn sie krank und erschöpft sind. Er legt ein egozentrisches, menschenverachtendes Verhalten an den Tag. Erst als er der kleinen Tochter der sich in Lebensgefahr befindlichen Mi-jin begegnet, erkennt er, dass es auch noch andere Werte im Leben gibt, als Geld. Glücklicherweise vermeidet Regisseur Na es, Joong-ho eine komplette Kehrtwende machen zu lassen. Stattdessen beginnt der Zuhälter allmählich, sich tatsächlich zu sorgen und entdeckt so fast schon verloren gegangene Gefühle wieder.
Auf der anderen Seite ist Young-min kein intellektuelles Genie, das einen Masterplan verfolgt und ebenso wenig ein Gesellschaftskritiker und Prophet seiner eigenen verqueren Moral. Viel mehr ist er bloß ein gestörter Mensch, mit äußerst verwerflichem Drang zu Töten. Es geht ihm nicht darum, irgendetwas zu beweisen oder sich selbst ein Denkmal zu errichten. Wären da nicht diese Morde, so könnte man sein Auftreten als zwar leicht zögerlich, doch fast schon normal bezeichnen. In seinem Gesicht liegt kein manisches Lächeln, seine Augen zeigen keinen Hass. Young-min ist ein merkwürdiger Mensch, aber ein überaus interessanter Charakter.

Auf visueller Ebene kann man The Chaser nichts vorwerfen. Während in so einigen großen Hollywoodproduktionen eher Blau- und Orangetöne vorherrschen, sind hier die dominanten Farben in den nächtlichen Szenen kaltes, weißes Licht und sanftes, zurückhaltendes Gelb. Die actionreicheren Szenen sind gut in Szene gesetzt und die Gewaltdarstellung in ihrer Rohheit beachtlich, um die ganz eigene Bosheit der Charaktere zu unterstreichen. In den USA sind die Macher von Departed (Martin Scorsese, 2006) bereits an einem Remake dran, kommen aber wahrscheinlich nicht umhin, das knallharte Ende zu ändern, um es hollywoodtauglich weichzuspülen. Es bleibt abzuwarten, ob und wie den Amerikanern eine Neuverfilmung des Stoffes gelingt. Sicher ist jedoch, dass das Original von Na Hong-jin ein eindrucksvolles Debüt und ein packend ungewöhnlicher Thriller ist, der die stellenweise enorme Qualität des zeitgenössischen koreanischen Kinos ein weiteres Mal aufzeigt.

Tödliches Kommando

Tödliches Kommando

2009 war er der Oscar-Abräumer des Jahres: Kathryn Bigelows Film Tödliches Kommando. Das Kriegsdrama gewann nach 11 Nominierungen ganze 6 Academy Awards, unter anderem für den besten Film, die beste Regie und das beste Originaldrehbuch. Nachdem die Academy sich oftmals und vor allem in den 90er Jahren nur fröhlich selbst zelebrierte ohne sich groß um die filmische Qualität ihrer Gewinner zu scheren, zeigt der Trend in den letzten Jahren zum Glück wieder in positive Richtungen. Auch Tödliches Kommando gehört zu den guten Filmen, deren Auszeichnung nicht unverdient ist.

Es ist das Jahr 2004, die Nachkriegszeit des dritten Golfkrieges im Irak. Sergeant JT Sanborn (Anthony Mackie) und Specialist Owen Eldridge (Brian Geraghty) arbeiten unter der Führung von Staff Sergeant Matt Thompson (Guy Pearce) beim EOD (Explosive Ordnance Disposal, „Kampfmittelbeseitigungsdienst“) der US Army als Bombenentschärfungskommando. Als jedoch Thompson während einer Entschärfungsmission durch eine Explosion stirbt, muss die Rolle des Teamleaders ersetzt werden. Die Army sieht dafür Sergeant First Class William James (Jeremy Renner) vor, einen Draufgänger, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger viel weniger auf seine Sicherheit und die seines Teams bedacht ist, sondern stattdessen immer wieder den Einsatz und damit das Leben seiner Männer gefährdet. So geht es von Mission zu Mission durch den Alltag eines EOD-Teams, bei dem Sergeant James nach und nach erkennt, was sein Dasein tatsächlich erfüllt.

Bigelows Film nimmt sich für einige Szenen enorm viel Zeit. So sind die Entschärfungen beispielsweise oft ein mitreißendes Warten und Bangen, während sich die Spannung immer weiter steigert. Auf der anderen Seite gibt’s ein Scharfschützenduell in der Wüste, das eine gefühlte Ewigkeit zu dauern scheint und gegen Ende eher an Spannung einbüßt. Nichtsdestotrotz sind es gerade diese Szenen, die so viel interessanter Erscheinen als die hundertsten Schusswechsel in unendlich vielen anderen Filmen mit Kriegsszenario. Bereits Jarhead (Sam Mendes, 2005) zeigte, dass man Kriegsthematik intensiv und vielschichtig darstellen kann, ohne mit Non-Stop-Action auf den Zuschauer einzuhämmern. Im Gegensatz dazu ist Tödliches Kommando zwar weit weniger humorvoll, aber dafür umso spannungsgeladener. An der Plotgestaltung mag man vielleicht die episodische Geradlinigkeit kritisieren, da Sergeant James und sein Team eigentlich nur von einer Mission zur nächsten fahren, um sich mit den entsprechenden Problemen auseinanderzusetzen, und diese Struktur nur selten wie beispielsweise durch einen Hinterhalt in der Wüste oder einen nächtlichen Einbruch durchbrochen wird; dagegen halten muss man aber, dass sich klassische Spannungsbögen und Hollywoodplots im tatsächlichen Kriegsgeschehen erst recht nicht finden lassen und Bigelows Film somit in Wirklichkeit ein relativ authentisches Bild wiedergibt. Schade ist allerdings, dass an dieser Authentizität die letztlich doch zu positive Darstellung der US-Truppen und eine damit einhergehende Verharmlosung des Soldatentums zu einer unreflektierten Reihe von Heldentaten kratzt.

Die Grausamkeit des Krieges in der erdrückenden Hitze des nahen Ostens zeigt sich zwar in jeder Szene, ist aber eigentlich nicht der Kern von Tödliches Kommando. Es scheint viel mehr darum zu gehen, wie der Krieg einen Menschen verändert, wie er die einen in Abgründe stürzt und wie er andere – hier Sergeant James – ihre Erfahrungen an Normalität gewinnen lässt, während sie sich anschließend in ihrem ursprünglichen, geregelten Umfeld wie ein Fremdkörper fühlen. Diese Entwicklung muss graduell geschehen, wenngleich man Bigelow vorhalten muss, diese Veränderung zu abrupt dargestellt zu haben. Einigen solcher kleinen Mängel zum Trotz, ist Tödliches Kommando ein packendes Kriegsdrama, das sich erfreulich von den immer wieder aufgekochten Genrevertretern abhebt.

The Good, The Bad, The Weird

The Good The Bad The Weird

Kim Jee-woon ist einer der ganz großen Regisseure Koreas und hat sich im Westen der Welt spätestens mit A Tale of Two Sisters (2003) einen Namen gemacht, ein fesselndes Horrordrama, das völlig unnötigerweise ein US-Remake von minderer Qualität erhielt. Mit The Good, The Bad, The Weird beschreitet er nun jedoch ganz andere Pfade: Die rasante Jagd nach einer Schatzkarte quer durch die Mandschurei der 30er-Jahre mit vielen Schusswechseln und enormem Bodycount. Ein gehöriger Spaß, der so schnell nicht langweilig wird.

Die besagte geheimnisvolle Schatzkarte befindet sich zu Anfang noch in den Händen eines japanischen Bankiers, der per Zug die Mandschurei durchquert. Doch der überall gefürchtete Bandit Chang-yi (Lee Byung-hun) überfällt mit seiner Bande den Zug, um die Karte zu erbeuten. Kein schlechter Plan, wäre ihm nicht bereits der leicht verrückte Kleinkriminelle Tae-goo (Song Kang-ho) zuvorgekommen, der sie ahnungslos einsteckte. Chang-yi selbst ist wiederum das ersehnte Ziel des Kopfgeldjägers Do-won (Jung Woo-sung), der sich jedoch zunächst an die Fersen von Tae-goo heftet. Es dauert nicht lange, bis auch Wüstenräuber, koreanische Freiheitskämpfer und sogar die japanische Armee die Karte in ihren Besitz bringen wollen. Bald ist also so ziemlich jeder hinter Tae-goo her und eine wilde, actionreiche Jagd durch die Wüste nimmt ihren Lauf.

Kim Jee-woon lässt dem Zuschauer zwar ein paar Atempausen, doch Schusswechsel und Verfolgungsjagden dominieren klar das Geschehen und zeigen schnell auf, dass The Good, The Bad, The Weird darauf abzielt, die perfekte Actionunterhaltung für den Filmabend zu sein. Die Actionszenen sind dabei extrem cool inszeniert, was mitunter an den beeindruckenden Kamerabewegungen liegt, die das Geschehen stets dynamisch bebildern, ohne dass man den Überblick verliert. Es wird aus allen Enden und Ecken wie wild herumgeballert und zahlreiche Statisten erleben mal mehr, mal weniger spektakuläre Bildschirmtode. Im Mittelpunkt stehen natürlich durchgehend die drei titelgebenden Charaktere. Der sadistische, unmoralische Chang-yi und der trottelige, naive Tae-goo stehlen dem Kopfgeldjäger Do-won allerdings fast die Show, denn der bleibt weitgehend blass, da er einfach zu gewöhnlich, zu „normal“ wirkt. Allzu tief geht die Charakterentwicklung aber dann auch bei den anderen nicht. Kim Jee-woon rückt klar die Action in den Vordergrund; der Film funktioniert dadurch sogar erstaunlich gut. Unterstrichen wird die Rasanz außerdem vom gelungenen Soundtrack. Vor allem das Maintheme, eine abgewandelte Version von „Don’t Let Me Be Misunderstood“, setzt sich im Laufe des Films im Ohr fest und erzeugt einfach eine passende Stimmung.

Es gibt Schusswechsel, Messerkämpfe, Explosionen, Pferde, Motorräder, Kanonen und jede Menge brüchiges Holz. Die Effekte sind nahezu komplett handgemacht und brauchen sich hinter der Arbeit der Special-Effect-Studios aus Hollywood keineswegs zu verstecken. Wer sich also für eine witzige, spannende und actionreiche Westernvariante aus dem asiatischen Raum begeistern kann, ist bei The Good, The Bad, The Weird bestens aufgehoben.