Der Gedanke, das sommerliche Wetter am Sandstrand einer einsamen Insel zu genießen, mag verlockend sein, doch Jung Jae-young hat in Verschollen in der City, dem zweiten Spielfilm von Lee Hae-jun ganz andere Probleme, sehr zur Erheiterung des Publikums.
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Schlagwort: 2009
Miss Kicki
Wie man Mutter ist, gleichzeitig aber auch irgendwie nicht: Håkon Lius Miss Kicki ist ein Familiendrama, das Schweden und Taiwan aufeinanderprallen lässt, um in stillen Tönen von einer Mutter-Sohn-Beziehung zu erzählen, die eigentlich nur auf dem Papier existiert und in der zwischenmenschlichen Wirklichkeit dringend Aufarbeitung bedarf. Weiterlesen „Miss Kicki“
Mother
Diese Woche wurde der erste Trailer des neuen Films von Bong Joon-ho veröffentlicht. Snowpiercer nennt sich die dystopische Comicverfilmung und scheint einiges an packender Sci-Fi-Action zu versprechen. Grund genug, einen Blick zurück auf den nunmehr vier Jahre alten Thriller Mother zu werfen. Die Erwartungen von Kritikern und Publikum waren im Vorfeld hoch, schließlich hatte der Regisseur mit The Host (2006) in Südkorea sämtliche Kassenrekorde gebrochen.
Mother handelt, wie der Titel bereits vermuten lässt, von einer Mutter (Kim Hye-ja); sie ist alleinerziehend und verdient sich ihr Geld mit dem Verkauf von Heilkräutern und Akkupunkturbehandlungen ohne gültige Lizenz. Ihr geistig zurückgebliebener Sohn Do-jun (Won Bin) lungert tagein, tagaus mit Jin-tae (Jin Goo) herum, einem moralisch fragwürdigen Störenfried, der seinen Mitmenschen nur Ärger bereitet.
Als auf einem Dach die Leiche eines Mädchens gefunden wird, klammert sich die Polizei verzweifelt an die wenigen Indizien, die sie hat. Do-jun wurde abends in der Nähe des Tatorts gesehen und findet sich prompt in einem Verhör wieder. Die zweifelhaften Methoden der Polizisten drängen den verstörten jungen Mann zu einem Geständnis und geben sich nicht weiter mit ordnungsgemäßen Ermittlungen ab. Seine entsetzte Mutter hingegen ist fest davon überzeugt, dass ihr Sohn zu einer grauenhaften Tat wie Mord überhaupt nicht fähig ist. Die einzige Möglichkeit, Do-jun vor der Einlieferung in eine Heilanstalt für Geisteskranke zu bewahren, sieht sie darin, eigene Nachforschungen anzustellen, um den wahren Mörder zu fassen und die Unschuld ihres Sohnes zu beweisen.
Hierbei wird sie zu einer Frau, die über sich hinauswächst, doch zugleich kommt sie nicht umhin, selbst einiges an Schuld auf sich zu nehmen. Die Mittel sind nicht immer sauber. Je weiter sie in ihren Ermittlungen vorstößt, desto gefährlicher wird es. Bong porträtiert seine Protagonistin als starke Frauenrolle, die uns vor Augen führt, wie weit eine Mutter bereit ist zu gehen, um ihren geliebten Sohn vor Unrecht zu bewahren. Ohne das beeindruckende Schauspiel von Kim Hye-ja hätte dies gewiss nicht derart gut funktioniert. Die Mischung aus Sorge, Unsicherheit und Zielstrebigkeit nimmt man ihr in jeder Szene ab.
Im Gegensatz zum rasanten Monsterspektakel seines vorherigen Films, hat Bong das Handlungstempo in Mother adäquat gedrosselt, jedoch glücklicherweise ohne dabei Längen aufkommen zu lassen. Der Thriller schöpft seine Spannung zum einen aus der kriminalistischen Erzählstruktur, zum anderen aus den inneren Konflikten, die mit der Figurenentwicklung der Mutter einhergehen. So nutzt Bong einmal mehr ein klassisches Genregerüst als strukturgebendes Element, das gekonnt mit einer gehörigen Portion Charakterdrama angereichert wird. Was geschieht, wenn Beschützerinstinkt zu einer destruktiven Kraft wird, deren Ausmaße eine Mutter vor sich selbst erschrecken lässt? Mother hat die Antwort.
Symbol
Als Teil des Stand-Up-Duos Downtown ist Hitoshi Matsumoto in Japan eine feste Größe im Comedybereich. Im japanischen Fernsehen sieht man ihn in seiner eigenen Sendung, als Gastgeber diverser Varieté-Shows, in Werbespots, Fernsehdramen und als Hauptdarsteller in seinen eigenen bisher zwei abendfüllenden Spielfilmen. Diese Filme sind es, die durch ihre Vorführung vor internationalem Publikum erst dafür gesorgt haben, dass Matsumoto auch außerhalb Japans auf sich aufmerksam machen konnte. Seiner grotesken Monstertrashparodie Der große Japaner – Dainipponjin (2007) folgte der noch verrücktere Symbol, der 2010 auf dem Fantasy Filmfest anlief und neue Maßstäbe in Sachen urkomischer Skurrilität setzte.
Die Handlung besteht aus zwei Strängen, zwischen denen immer mal wieder gewechselt wird. Der eine erzählt die Geschichte eines Luchadors, eines mexikanischen Wrestlers, der sich mithilfe seiner Familie auf seinen großen Kampf vorbereitet. Im anderen Handlungsstrang erwacht ein Mann (Hitoshi Matsumoto) in einem tür- und fensterlosen, leeren, weißen Raum und trägt nichts weiter als einen bunten Schlafanzug. Die Geschichte in Mexiko kommt zunächst gar nicht mal allzu sonderbar daher: Dass der Wrestler nie seine Maske ablegt und dass seine Schwester in Nonnenkleidung eine überaus aggressiv-rasante Fahrweise an den Tag legt, sind da noch die Höhepunkte. Ganz anders verhält es sich mit den Szenen im weißen Raum; als unzählige Statuen von Engelsknaben aus der Wand hervortreten, nimmt der absurde Spaß erst seinen Lauf. Nachdem die Statuen wieder verschwinden, bleiben lediglich ihre Geschlechtsorgane sichtbar auf der Wand zurück. Irritiert und fasziniert zugleich stellt der Mann fest, dass durch das Drücken eines dieser Penisse stets prompt ein Objekt durch eine Klappe in der Wand ins Zimmer fällt. Die Gegenstände, die er auf diese Weise erhält, sind von völlig unterschiedlicher Art; die Vielfalt reicht von Bleistiften und Comicheften über Sushi und Esstäbchen bis hin zu einem Pümpel oder gar einem Gepäckwagen. Ob und wie all die völlig bezuglosen Dinge ihm dabei helfen sollen, aus diesem Raum zu entkommen, ist dem Mann noch nicht klar, aber eines garantiert: Er wird alles daran setzen, einen Ausweg aus dieser grotesken Situation zu finden.
Ein Mann, allein und gefangen in einem leeren Raum. Was nach einer Voraussetzung für einen beklemmenden Psychothriller klingt, entpuppt sich als irrwitziger Spaß. Der Einfallsreichtum des Protagonisten, der in seiner verzweifelten Situation nicht mehr als einen Haufen zufälliger und scheinbar nicht zueinander passender Gegenstände zur Verfügung hat, ist zur gleichen Zeit beeindruckend und belustigend. Zugegeben, die Szenen im weißen Raum sind ziemlich eigenwillig, aber – wenn man mit dem Humor etwas anfangen kann – auch äußerst unterhaltend. Dadurch fällt allerdings eine Schwäche des Films auf: Der Handlungsstrang um den mexikanischen Wrestler kann zu keinem Zeitpunkt mithalten. Weder inhaltlich, noch inszenatorisch wirken diese Szenen in irgendeiner Weise besonders. Anfangs entsteht der Eindruck, beide Handlungsstränge seien gleichwertig. Umso enttäuschender, dass einer der beiden nicht wirklich viel bieten kann. Sobald aber die Verbindung zwischen den zuerst vollkommen zusammenhangslos wirkenden Geschichten klar wird, ordnet sich der Mexiko-Plot glücklicherweise dem Weißer-Raum-Plot unter, auch was die Wichtigkeit für die komplette Handlung angeht. Einen faden Beigeschmack hinterlässt das Ganze dennoch, denn man hätte diese Episoden deutlich kürzer fassen können, wenn schon der andere Handlungsstrang in allen Punkten erkennbar Priorität genießt.
Nichtsdestotrotz bleibt Symbol ein wahnsinniger Spaß mit unerwartet bedeutungsschwangeren Schlussminuten. Wer bereits an Matsumotos abgefahrenem Debüt Gefallen gefunden hat, wird bei seinem zweiten Film garantiert nicht minder begeistert.
Wo die wilden Kerle wohnen
Angefangen hat Regisseur Spike Jonze mit Skater- und Musikvideos, über mehrere Kurzfilme ging es dann nach Hollywood und schließlich zu seinem ersten abendfüllenden Spielfilm Being John Malkovich (1999), die oskarnominierte Zusammenarbeit mit Drehbuchautor Charlie Kaufman, der mit Adaption (2002) ein weiteres metareflexives Drama folgte. Sein dritter Film schlägt allerdings eine ganz andere Richtung ein: Statt selbstreferentieller Narration steht vor allem die abenteuerliche Begegnung eines kleinen Jungen mit wilden Monstern im Vordergrund. Weiterlesen „Wo die wilden Kerle wohnen“
Dogtooth
Wenn der Blick auf das griechische Kino fällt, dann meistens auf die Filme der 50er und 60er Jahre. Dieser Zeitraum gilt gemeinhin als der erfolgreichste in der Filmgeschichte des Landes. Seit kurzem allerdings, so scheint es, tut man gut daran, dieser Geschichte ein neues Kapitel hinzuzufügen, denn seit dem Staatsbankrott macht Griechenland nicht nur eine Veränderung auf gesellschaftlicher Ebene durch. Die schwierige wirtschaftliche Lage lässt eine neue Generation von Independentfilmen entstehen, deren Finanzierung ohne Produzenten auskommen muss und auf gegenseitige Unterstützung der Filmemacher angewiesen ist. So macht das Land international derzeit mit niedrig budgetierten, eigenartigen Dramen wie Attenberg (Athina Rachel Tsangari, 2010) und Giorgos Lanthimos‘ Dogtooth auf sich aufmerksam. Letztgenannter gewann einen Preis in Cannes und wurde für einen Academy Award nominiert.
Der sperrige Film handelt von einer außergewöhnlichen Familiensituation. Ein gut betuchtes Ehepaar (Christos Stergioglou & Michele Valley) lebt mit seinen drei erwachsenen Kindern – zwei Töchter (Aggeliki Papoulia & Mary Tsoni) und ein Sohn (Hristos Passalis) – auf einem hochumzäunten Grundstück. Was der Vater beruflich macht, bleibt dem Zuschauer ebenso verborgen wie die Namen der Charaktere. Deutlich wird jedoch: Der Mann hat seine ganz eigenen Vorstellungen von Familienidylle. So leben die Kinder schon immer im Elternhaus, von allem abgeschottet und von Mama und Papa systematisch mit Fehlinformationen gefüttert. Dabei gilt die Außenwelt als besonders gefährlich und voll von schädlichen Einflüssen. Ihr Alltag wird vom Vater geplant und reguliert. Sein Wirken dringt dabei sogar bis in die Kommunikation ein, wenn seine Kinder mittels Kassetten zu uns bekannten Begriffen ganz eigene Definitionen lernen, damit jede potentielle Neugier im Keim erstickt wird. Mit skurrilen Spielen und Aufgaben werden die „Kinder“ bei Laune gehalten. Um die sexuellen Bedürfnisse seines Sohnes zu befriedigen, bezahlt der Vater eine junge Sicherheitsangestellte aus seiner Firma. Doch diese Frau namens Christina (Anna Kalaitzidou) entwickelt Ansprüche, denen der Sohn nicht gerecht werden will. Als sie sich stattdessen an die ältere Tochter wendet und sie heimlich mit Videokassetten von Hollywoodfilmen entlohnt, wächst in dieser ein unaufhaltsames Verlangen nach der unbekannten Welt jenseits des Gartenzauns.
Neben grotesken, auf merkwürdige Art komischen Momenten wie einer unbeholfenen Tanzszene oder einem Versteckspiel im Garten, sind es auch obszöne Perversitäten wie Inzest, die Dogtooth so irritierend wirken lassen. Umso beklemmender ist es, mit welcher Nüchternheit die Charaktere agieren. Emotionale Regungen gibt es keine. Selbst der Geschlechtsverkehr der Eltern wirkt gefühllos, klinisch, kalt.
Passend zu dieser Regungslosigkeit präsentiert sich der Film formal ebenso distanziert. Die Kamera bewegt sich nicht, zeigt fast dokumentarisch immer wieder nur starre Einstellungen. Untermalt wird das Ganze durch die völlige Abwesenheit von Hintergrundmusik. Stilistisch erinnert diese sachliche und wohl dadurch so erschreckende Betrachtungsweise an Filme von Michael Haneke oder Ulrich Seidl, eine Kälte, die griechisches Mittelmeerflair offenbar mühelos neutralisiert.
Die Reaktionen auf Lanthimos‘ Film reichen von Verwirrung über Verstörung bis hin zu Begeisterung. Eines ist klar: Er ist ein Drama über realitätsschaffende Manipulation und seelische Grausamkeit; eine Parabel auf diktatorischen Machterhalt durch Isolation und ein pervertiertes platonisches Höhlengleichnis. Dogtooth ist filmisches Unbehagen von außerordentlicher Qualität und nichts für vergnügliche DVD-Abende.
My Son, My Son, What Have Ye Done
Einige staunten nicht schlecht, als in den ersten Informationen zu My Son, My Son, What Have Ye Done zu lesen war, dass Werner Herzog auf dem Regiestuhl sitzen würde und kein geringerer als David Lynch als ausführender Produzent an dem Projekt beteiligt sei. Denn eines war sicher: Die ungewöhnliche Zusammenarbeit zwischen dem Autorenfilmer, der seine Charaktere nicht selten bis an ihre physischen und psychischen Grenzen treibt und dem Meister der surrealen Paranoia konnte schließlich nur einen außergewöhnlichen Film hervorbringen. Doch kann das Drama die Erwartungen auch erfüllen?
Die Handlung basiert auf einer wahren Begebenheit und erzählt die Geschichte vom Studenten Brad McCullum (Michael Shannon), der seine Mutter (Grace Zabriskie) beim nachbarschaftlichen Kaffeekränzchen mit einem Schwert ermordet. Als die Polizei am Tatort in der Vorstadt San Diegos ankommt, hat sich der Täter bereits in seinem eigenen Haus verbarrikadiert. Detective Havenhurst (Willem Dafoe) und sein Partner Vargas (Michael Peña) umstellen das Haus und verweilen in Lauerstellung, denn Brad hält nach eigener Aussage zwei Geiseln gefangen.
Soweit der Rahmen, für den Herzog sich wie schon in Bad Lieutenant (2009) einer Kriminalgeschichte bedient. Erneut geht es allerdings gar nicht so sehr um den Plot, sondern viel mehr um die Wandlung und die Beweggründe des Hauptcharakters. Hierzu wird auf eine konventionelle Erzählstruktur verzichtet und der Film durch die Aussagen von Brads Freundin Ingrid (Chloë Sevigny) und dem Leiter seiner Schauspielgruppe Lee Meyers (Udo Kier) in Rückblenden erzählt.
Was verleitet einen Mann dazu, seine eigene Mutter mit einem Schwert niederzustrecken? Herzog zeigt, dass so eine Tat nicht einfach aus einem simplen, rationalen Grund hervorgehen kann. Die Inspiration für den Mord erhielt Protagonist Brad zwar durch seine Theatergruppe, mit der er die griechische Tragödie Orestie probt, in welcher der Protagonist Orestes schließlich seine Mutter tötet, um den Mord an Agamemnon zu rächen, aber dass in Brads Kopf der Wahnsinn wuchern und ihn zu einem mehr und mehr entrückten Menschen werden lassen kann, hat natürlich mehrere, emotional tiefer sitzende Ursachen. Auffallend ist in der Hinsicht besonders die übertriebene Fürsorge und Zuwendung, die er unablässlich von seiner Mutter erfährt. Von dieser unaufhörlichen Bemutterung fühlt sich Brad sichtlich erdrückt und eingeengt. Doch nachhaltig verstört wurde er bei einem Trip in Peru. Auf die Frage, ob er seine Freunde beim Riverrafting begleiten will, verneint er, weil ihn eine innere Stimme gewarnt hat. Ein Entschluss, der ihn letztlich vor dem Ertrinken rettete. Seit seiner Rückkehr will Brad allerdings Farouk genannt werden und meint, Gott auf Frühstücksflockenpackungen und in Schlagersängern zu erkennen.
Immer mehr zieht sich der Mann zurück, in seinem Kopf gewinnt der Wahnsinn die Überhand, bis er schließlich mit dem Schwert bewaffnet auf dem Kaffeekränzchen auftaucht. Mit Michael Shannon scheint Herzog den entrückten Muttermörder ideal besetzt zu haben, denn allein der psychopathische Blick des Schauspielers weiß bereits auf ganzer Linie zu überzeugen. Das Problem an den verschiedenartigen emotionalen Impakten ist jedoch, dass sie oft mehr angedeutet oder nur grob erzählt werden. Wie es in Brads Geist vorgeht, lässt sich nur erahnen und anhand seiner Taten vage rekonstruieren. Die Handlung bleibt durchgehend auf Brad gerichtet, aber auf eine distanzierte Weise, die das Hineinversetzen in den Charakter erschwert. Nichtsdestotrotz ist dem Regisseur mal wieder eine starke, düstere Grundstimmung gelungen.
Die Handschrift Werner Herzogs ist klar erkennbar. Die kontrastreichen Bilder der amerikanischen Vorstadt erinnern an Bad Lieutenant, während die so häufigen Naturaufnahmen in Herzogs Schaffen mit den Szenen im peruanischen Dschungel abgedeckt werden. Dass David Lynch als ausführender Produzent auf dem Cover prangt, hat, so gewinnt man den Eindruck, hingegen eher werbetechnische Gründe, denn My Son, My Son, What Have Ye Done ist ein Herzog-Film durch und durch. Nach den Einflüssen von Lynch muss man eher gezielter suchen. Das Casting von Grace Zabriskie als Brads Mutter, die bereits in Inland Empire (David Lynch, 2006) als merkwürdige Nachbarin auffiel, sowie vereinzelte Szenen – wie beispielsweise jene mit den Sträußen – lassen eine gewisse lyncheske Atmosphäre aufkommen, aber letztendlich bleibt der Film ein merkwürdiges, bisweilen langsames Drama von Werner Herzog, das von einem Meisterwerk zwar ein gutes Stück entfernt ist, aber ansonsten weitgehend zu überzeugen weiß.
Deliver Us From Evil
Was wäre, wenn man Sam Peckinpahs Straw Dogs (1971) ins heutige Dänemark verfrachten würde? Die Antwort könnte ähnlich aussehen wie der 2009 auf dem Fantasy Filmfest angelaufene Deliver Us From Evil von Ole Bornedal.
Johannes (Lasse Rimmer), ein gut betuchter Akademiker, hat genug vom hektischen Treiben der Großstadt und zieht mit seiner Frau Pernille (Lene Nystrøm) und den gemeinsamen Kindern in das beschauliche Dorf, in dem er mit seinem Bruder Lars (Jens Andersen) aufwuchs. Der kleine Ort in Westjütland ist eine Gemeinschaft voller Zusammenhalt und Nächstenliebe, ein freundliches Dörfchen, in dem jeder jeden kennt. Doch mit dem Frieden ist es schnell vorbei, als Lars mit seinem LKW versehentlich Anna, die Frau von Ingvar (Mogens Pedersen) anfährt und dadurch tötet. Es scheint, als habe es auf der verlassenen Landstraße keiner gesehen, also kommt Lars die Idee, die Schuld auf den Balkanflüchtling Alain (Bojan Navojec) zu schieben, denn der erfreut sich bei der Dorfgemeinschaft ohnehin nicht gerade besonderer Beliebtheit.
Kaum ist der vermeintliche Schuldige gefunden, beschließt Ingvar, den Tod seiner Frau zu vergelten. In kürzester Zeit scharrt er einen wütenden Mob um sich, der – genau wie er – den Ausländer leiden sehen will. Johannes kann sich mit dieser Einstellung überhaupt nicht anfreunden und gewährt dem flüchtenden Alain Unterschlupf in seinem Haus. Von Hass und Zorn getrieben, beginnen zahlreiche Männer und Frauen des Dorfes eine rücksichtslose Belagerung des abgelegenen Anwesens, bei der Johannes schon bald feststellen muss, dass das bloße Warten auf die Polizei nicht ausreichen wird, die anbrechende Nacht zu überstehen.
Dass Deliver Us From Evil darauf abzielt, sich vor dem starken Selbstjustizdrama Straw Dogs zu verbeugen, kann und will Ole Bornedal offenbar nicht verleugnen. Zu auffallend sind die Parallelen, als dass ein Vergleich der beiden Filme unbeachtet bleiben sollte. Wie einst Dustin Hoffmans Charakter in Peckinpahs Film, verkörpert hier Johannes den intellektuellen Außenseiter, der so gar nicht in die eher pragmatische Dorfgemeinschaft voller Saufkumpane zu passen scheint. Die nur geringe Integration ins alltägliche Dorfgeschehen führt zwangsläufig zu einer Inkompatibilität, die sich auch in Bornedals Film eben vor allem im moralischen Bereich äußert. Johannes bewahrt sich als aufrechte, gebildete Person ein überlegenes Verständnis von Moral gegenüber den asozialen, fremdenfeindlichen Dorfbewohnern. Die daraus resultierende finale Eskalation um und in Johannes‘ Haus ähnelt sogar noch stärker der Inspirationsquelle als der bisherige Handlungsverlauf. Natürlich gibt es Abweichungen im Drehbuch, allerdings sind genau diese oftmals die Schwachstellen von Deliver Us From Evil. In Straw Dogs ist der Protagonist selbst ein durchaus unsympathischer Charakter, der über sein Handeln mehr und mehr mit seiner Frau in Streit gerät. In Bornedals Drama werden Konflikte zwischen Lars und Pernille zwar angedeutet, aber nicht weiter ausgeführt. Sowieso bleibt Johannes im Vergleich zu Peckinpahs Hauptfigur deutlich blasser.
Auf handwerklicher Ebene ist zu vermerken, dass Bornedal fast vierzig Jahre später als Peckinpah sebstverständlich mehr technische Möglichkeiten hat. Speziell bei den Gewaltszenen findet er auch das richtige Maß. Die allgemeine Verarbeitung der Thematik kommt jedoch bisweilen ein wenig plumper und plakativer daher. Wo Peckinpah subtiler zu Werke ging, traut Bornedal dem Zuschauer weniger zu. Und doch ist die dargestellte Gesellschaft im Kleinen erschreckend realitätsnah. So schwarz und weiß die Charaktere in Deliver Us From Evil auch wirken mögen, so authentisch zeigen sich in dem nach außen so idyllischen Dörfchen die Missstände einer dänischen Gesellschaft, die xenophobische Neigungen in sich trägt und damit natürlich leider nicht allein dasteht.
Visuell gibt es eigentlich kaum etwas zu bemängeln, auch wenn man sich nach dem Film wohl fragen mag, ob es nicht vielleicht doch besser gewesen wäre, die Sättigung des Bildes zu erhöhen und den Sepiafilter ein wenig abzuschwächen.
Unterm Strich kommt Deliver Us From Evil nicht ganz an Sam Peckinpahs Straw Dogs heran, bietet aber eine moderne und sehenswerte Alternative zu einem Thema, das an Aktualität und Wichtigkeit nichts eingebüßt hat.
Antichrist
Im Jahr 2009 gab es in Cannes mal wieder kontroversen Diskussionsstoff und Schreie der Empörung. Ziel der insgesamt äußerst geteilten Meinungen war dieses Mal Lars von Triers Antichrist, ein bildgewaltiges Horrordrama, das mit expliziten Darstellungen von Sex und Gewalt in einem nebelverhangenen Wald aufwartete und seiner Hauptdarstellerin die Auszeichnung der besten Schauspielerin einbrachte.
Die Handlung des Films ist in mehrere Kapitel unterteilt, doch bereits im Prolog wird angedeutet, wie kompromisslos Lars von Trier seine Plotelemente auf die Spitze teibt: Während ein Ehepaar (Charlotte Gainsburg u. Willem Dafoe, im Film durchgehend nur als „Sie“ und „Er“ benannt) leidenschaftlichen Geschlechtsverkehr unter der Dusche hat, klettert ihr kleiner Sohn aus seinem Gitterbett und über einen Schreibtisch zum Fenster hinaus. In schwarz-weißen Ultrazeitlupenaufnahmen sehen wir, wie im Moment des sexuellen Höhepunkts der Körper ihres Kindes auf der schneebedeckten Straße aufprallt. Glück und Verderben im selben Moment; das ist in diesem Fall nicht sehr subtil, doch Antichrist ist ohnehin ein Film der Extreme und genau darin besonders effektiv.
Sie stürzt daraufhin in einen psychischen Abgrund aus Depression und Angst, aus dem sie auch ihr Mann als Psychotherapeut zunächst nicht befreien kann. Eine neue Möglichkeit ergibt sich, als Er herausfindet, dass sich ihre Angst auf einen Ort namens Eden konzentriert, ein ruhiger, dichter Wald mit einer Holzhütte, in der Sie mit ihrem Sohn Nick den letzten Sommer verbrachte, während sie an einer Arbeit über Genderzid schrieb. Er ist davon überzeugt, dass Sie ihren Zustand überwinden kann, wenn sie mit dem Ursprung ihrer innersten Furcht konfrontiert wird und beschließt kurzerhand, dass sie nach Eden reisen, um die Expositionstherapie in der kleinen Hütte fortzusetzen. Allerdings lassen mysteriöse Vorboten einer seltsamen Prophezeiung – unter anderem in Form eines sich selbst ausweidenden Fuchses, der baldiges Chaos ankündigt – den Aufenthalt im Wald zu einem merkwürdigen. mystisch angehauchten Dasein werden. Immer wieder prasseln stakkatoartig Unmengen Eicheln auf die Hütte nieder. Visionen von nackten Kadavern in Unterholz und Wurzelwerk erinnern an höllengleiche Gemälde eines Hieronymus Bosch. Sie wird nervöser, manischer und sowohl körperlich, als auch geistig aggressiver. Eden wirkt wie verhext, wie eine dunkle Macht, die von Ihr Besitz ergreift. Er hingegen versucht gegen die Ausbrüche anzukämpfen und kommt einigen Geheimnissen auf die Spur, die ein ungeahntes Ausmaß von Wahnsinn und Bosheit offenbaren.
Die beeindruckenden Bilder sind eine der ganz großen Stärken des Filmes, die zur beklemmenden Atmosphäre beiträgt. Nebelschwaden durchziehen den Waldboden, auf dem wildwachsende, meterhohe Bäume gen Himmel ragen. Manchmal sieht man ein Tier verharren, bevor es wieder seines Weges zieht. Und über allem liegt eine undurchdringliche Dichte, eine hintergründige Finsternis, die bis in die Köpfe zu dringen scheint. Eden ist ein wunderschönes Naturpanorama, doch hinter der trügerischen Schönheit der Flora und Fauna verbirgt sich eine erdrückende Schwärze, die den gewünschten Therapierfolg in weite Ferne rücken lässt. Das einstige Paar wandelt sich im Laufe der Isolation zu Kreaturen von bestialischer Grausamkeit, denn so ansehnlich Lars von Trier den Wald präsentiert, so explizit sind nämlich auch seine Darstellungen von exzessivem Sexualverkehr und brutaler Gewalt. Spätestens wenn er beides in Kombination präsentiert, dreht sich bei manchem Zuschauer gefühlt der Magen um. In Cannes nahmen einige Kritiker dies weniger gut auf, mussten aber auch die künstlerische Ästhetik des Films, sowie herausragende Schauspielleistungen zugeben. Charlotte Gainsbourg mimt eine trauernde Mutter, eine manische Ehefrau und ein dämonisch anmutendes Wesen in einerPerson. Ihr Geist scheint zerfressen und besessen zugleich. Man nimmt ihr den Charakter in jeder Sekunde ab; völlig zurecht also die Auszeichnung für ihr Schauspiel. Willem Dafoe bleibt dagegen ein wenig blasser, zeigt sich aber solide und mit viel Durchhaltevermögen.
Böse Zungen werfen Lars von Trier vor, bloß auf den Schockeffekt abzuzielen, wenn intimste Stellen verstümmelt werden oder in Blut getränkte Tiere auftreten. Eine Haltung, die nicht völlig unverständlich ist, aber ebenso muss man Antichrist keineswegs derart reduzieren, hat er aufgeschlossenen Zuschauern doch schließlich mehr zu bieten als das, nämlich eine Reise in die dunkelsten Abgründe der menschlichen Seele und des Triebes, eine intensive Grenzerfahrung, die am Begriff wirklichen Horrors weit näher dran ist, als zahlreiche populäre Filme des Genres.
Walhalla Rising
Nach dem knallharten Biopic Bronson (2008), über einen der gewalttätigsten Häftlinge Großbritanniens, kehrt der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn mit Walhalla Rising zu seinen nordischen Wurzeln zurück und schildert eine brutale, aber zugleich auch spirituelle Reise eines kompromisslosen, schweigsamen Mannes durch den rauen Norden des elften Jahrhunderts. Weiterlesen „Walhalla Rising“