Regisseur Sion Sono hält sich zwar für gewöhnlich ohnehin nicht an filmische Konventionen, was er bereits in Filmen wie Strange Circus (2005) und Noriko’s Dinner Table (2005) eindrucksvoll unter Beweis stellte; mit Love Exposure allerdings, einem vierstündigen Wahnsinn zwischen Perversion, Katholizismus, Liebe und Gewalt, beschert er nicht nur seinem persönlichen Œuvre, sondern auch dem japanischen Kino einen Meilenstein von ganz besonderer Art.
Im Mittelpunkt der überaschend kurzweiligen vier Stunden Filmhandlung stehen zwei junge Menschen, die ganz offensichtlich füreinander bestimmt sind, obwohl sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Zum einen ist da Yû (Takahiro Nishijima), ein nach seiner wahren Liebe – seiner „Maria“ – suchender Pastorensohn mit absolut reinem Gewissen, der nie auch nur die geringste Sünde begangen hat. Dennoch wird er tagein, tagaus von seinem Vater zur Beichte beordert, seitdem dieser nach seiner letzten gescheiterten Beziehung sein Heil noch intensiver und fanatischer im Glauben sucht. Dass Yû allerdings keine Sünden vorzuweisen hat, enttäuscht und verärgert seinen Vater nur umso mehr. So schließt sich der brave Schüler einigen Jugendlichen an, mit denen er gemeinsam von einem erfahrenen Meister im Fotografieren von Frauenunterhosen unterrichtet wird. Fortan entwickelt die Bande immer neuere und effektivere Techniken, mit denen sie ihre Kameras unbemerkt unter die Röcke zahlreicher junger Frauen huschen lassen, um am Ende der Woche stets voller Enthusiasmus das beste geschossene Bild zu küren. Innerhalb kürzester Zeit wird Yû zum Experten, zum Helden aller Perversen, doch die Liebe hat für ihn seine „Maria“ vorgesehen, die er schließlich in der rebellischen Yôko (Hikari Mitsushima) gefunden zu haben scheint.
Wäre er jedoch aufgrund einer verlorenen Wette nicht in jenem entscheidenden Moment in Frauenkleidern unterwegs, dann hätte sich Yôko auch nicht in die mysteriöse, in schwarz gewandete Frau verliebt, die sie vor sich zu sehen glaubt. Als wäre das Liebeskonstrukt damit nicht kompliziert genug, verlieben sich kurioserweise Yûs Vater und Yôkos Mutter ineinander. Sympathien hat Yôko für ihren neugewonnenen „Bruder“ allerdings keine übrig. Zu diesem Protagonistenduo, das immer wieder zwischen Liebe, Hass und Geschlechterverwechslung hin- und hergeworfen wird, gesellt sich dann auch noch die manipulative Koike (Sakura Andô), für die das Aufeinandertreffen von Yû und Yôko zu ihren ganz eigenen wahnsinnigen Plänen gehört.
Dass ein überlanger Plot mit 60-minütigem Prolog, sowie zahlreichen angerissenen Genres und Motiven derart gut funktioniert, ist eine starke Leistung. Sono neigt ja ohnehin schon immer gern zu plötzlichen Wechseln von Erzähltempo, -tenor und -inhalt, aber in Love Exposure perfektioniert er diese Radikalität auf eine solche Weise, dass man als Zuschauer nicht jede Minute aufs Neue irritiert wird, sondern trotzdem alles als homogene Einheit wahrnimmt. Geht es in einem Augenblick noch um witzig inszenierte Liebesprobleme, bekommt man nur wenig später bereits eine blutige Kastrationsszene zu sehen. Diese Stimmungswechsel von heiter-romantisch zu verstörend-düster inszeniert Sono mit einer außerordentlichen Stilsicherheit, die auch notwendig ist, um das verrückte Feuerwerk an Ideen und Gegensätzen über 237 Minuten Laufzeit nicht zu einer langweiligen Aneinanderreihung von verschiedenartigen Eindrücken werden zu lassen und in der Komödie, Drama, Action, Splatter und Romantik mühelos ineinander überfließen, als gehörten sie schon immer zusammen.
Was die Motive selbst anbelangt, so darf man bei Sono nicht auf Subtilität hoffen. Ob religiöser Fanatismus gegen sektenartiges Götzentum oder reine unschuldige Liebe gegen lüsterne Sünderei, Parallelitäten und Gegensätze werden dem Zuschauer förmlich ins Gesicht gedrückt. Davon muss man sich allerdings nicht zwingend in seinem Seherlebnis gestört fühlen, wenn man sieht, wie sich die Charaktere von einer irrwitzigen Situation zur nächsten durch den abgedrehten Plot hangeln. Wenn auf der Leinwand ein Mustersohn über eine solche enorme Filmlaufzeit erst zum perversen Sünder, dann zur Drag Queen und schließlich zum verzweifelten Liebenden wird, der dabei seine erste Erektion erlebt und letzlich alles für die Liebe seines Lebens auf Spiel setzt, dann kann man gar nicht anders als mitfiebern.
Love Exposure ist auf der einen Seite mitreißendes Liebesdrama und bizarre Komödie zugleich, andererseits aber auch ein Film, der alle nötigen Klischees und Vorurteile über die japanische Gesellschaft karikiert. Hinzu kommt der radikale Stil von Sion Sono, der sich ohne Zurückhaltung austobt und zusammen mit der starken Leistung seiner drei jungen Hauptdarsteller ein herausragendes Werk geschaffen hat, das in keiner Filmsammlung fehlen sollte.