Nach mehreren Kurzfilmen und einer Tätigkeit in der Werbebranche war 1983 endlich die Zeit für das Spielfilmdebüt von Tony Scott gekommen. Wenige Jahre nach seinem älteren Bruder Ridley, betratt er die Bühne großer Filmemacher, wenn auch noch weit weniger massentauglich als seine späteren Werke. Begierde ist ein Horrordrama, aber stilistisch eben auch eine gewöhnungsbedürftige Mischung aus amerikanischen Independentkino und europäischem Arthaus. Weiterlesen „Begierde“
Schlagwort: Catherine Deneuve
Pola X
Auf den diesjährigen internationalen Filmfestspielen von Cannes kehrte ein wunderlicher Franzose nach fast 13 Jahren mit einem neuen Langfilm zurück und war umgehend für die Goldene Palme nominiert. Die Rede ist von Leos Carax, der mit seinem neuesten Streich Holy Motors die Kritiker begeisterte; ganz anders als seinerzeit sein vorheriger Film Pola X aufgenommen wurde und den man auch vor allem aus finanzieller Sicht als gescheitertes Experiment bezeichnen muss. Dennoch lohnt sich ein näherer Blick auf die sperrige Literaturadaption (nach Herman Melvilles Roman Pierre: or, The Ambiguities), die eine eigentümliche Geschichte von Inzest und künstlerischer Emanzipation erzählt.
Pierre (Guillaume Depardieu) ist ein verwöhnter Erfolgsautor, reich, jung und schön. Er lebt mit seiner geliebten Mutter Marie (Catherine Deneuve) auf dem Land, in einem teuren Anwesen in der Normandie. Die andere wichtige Frau in seinem Leben ist seine Verlobte Lucie (Delphine Chuillo), die er bald ehelichen wird. Es mangelt ihm an nichts in dieser idyllischen kleinen Welt, fernab vom Lärm der Städte, wie in einer längst vergangenen Epoche. Als jedoch eine mysteriöse fremde Frau (Yekaterina Golubeva) in sein Leben tritt und sich als seine Schwester offenbart, lässt sich Pierre auf ein inzestuöses Verhältnis und eine Abkehr von seinem bisherigen Leben ein.
Zu den zentralen Motiven von Pola X gehören definitiv die Veränderung, der Wandel und das Lösen von gefestigten Verhältnissen. Dies zeigt sich einerseits im Privaten, wenn Pierre plötzlich sein isoliertes Dasein auf dem Land, seinen vermögenden Lebensstil, in dem es ihm an nichts mangelt, aufgibt und sich mit seiner neu entdeckten Schwester Isabelle nach Paris aufmacht. Auf der anderen Seite geht es für Carax allerdings noch stärker um Pierres Selbstverständnis als Künstler, indem er ihn sich einer anarchistischen Künstlerkommune anschließen lässt, die für ihre gesellschaftskritischen und bisweilen terroristischen Tendenzen ein heruntergekommenes Lagerhaus als Stützpunkt nutzt. Er wendet sich gegen die Seichtheit des Populären und die Anbiederung an die Masse, die zwangsläufig zu Lasten einer Wahrhaftigkeit im Verhältnis zwischen Künstler, Werk und Publikum geschieht und sucht nach einer neuen Ehrlichkeit in der Kunst. Dass Pierres neugewonnene Ansicht vom Künstlertum auch ein Stück weit die persönliche Einstellung des Regisseurs wiederspiegelt, ist naheliegend, gilt der Franzose selbst schließlich als eigenwilliger Künstler.
Leos Carax inszeniert Pierres Wandel in unaufgeregten Bildern. Obwohl Melvilles Romanvorlage aus dem Jahr 1852 stammt und die Handlung für den Film vom Amerika des 19. Jahrhunderts in das Frankreich der Gegenwart verlegt wurde, wirken die Handlungsorte oft seltsam zeitlos. Autos, Straßenschilder und Fernseher weisen das moderne Setting zwar als solches aus, bleiben aber kleinere Details; die Handlung scheint sich viel mehr in einem ganz eigenen, filmischen Kosmos abzuspielen. Der Kontrast zwischen dem ländlichen Idyll und der verschmutzten Großstadt hatte zu Melvilles Zeiten kurz vor und während der Industrialisierung der Vereinigten Staaten eine größere Bedeutung und ist durch die Verlagerung des Geschehens einiger Kontexte beraubt, funktioniert in Pola X aber speziell auf der ästhetischen Ebene noch tadellos. Durch die ruhige Erzählweise, die den Figuren und ihrer Umgebung Raum gibt, und die dichte, surreale Atmosphäre, geraten die sonnigen Wiesen der Normandie beim tristen Braun in Braun der Pariser Industrieanlagen in der zweiten Hälfte des Films beinahe in Vergessenheit.
Pola X ist schwerfällig und teilweise zäh bis anstrengend. Dazu trägt auch das leider etwas steife Spiel von Guillaume Depardieu als Pierre bei. Dass Carax damit an den Kassen floppte, ist keine Überraschung, doch wenn man sich auf diesen Weg eines verwöhnten Schriftstellers zum heruntergekommenen Gesellschaftskritiker einlässt, auf einen Weg von der Populärliteratur zur künstlerischen Wahrheit, dann besteht die Möglichkeit, ein ungewöhnliches, aber unheimlich faszinierendes Stück Fim zu erleben.
Ekel
Roman Polański macht ja in der letzten Zeit eher durch ein schweres Sexualdelikt Schlagzeilen, wenn man sich aber an seiner Filmographie entlanghangelt, stößt man 1965 auf einen im wahrsten Sinne des Wortes wahnsinnigen Film, auf Ekel, das verstörende Porträt einer jungen Frau, die auf dem Weg in geistige Abgründe zu radikalen Handlungen greift.
Die junge Belgierin Carole Ledoux (Catherine Deneuve) arbeitet als Maniküre und lebt mit ihrer Schwester Hélène (Yvonne Furneaux) in einem Londoner Apartment. Im Gegensatz zu ihrer Schwester, deren Geliebter Michael (Ian Hendry) sie immer wieder besucht, ist Carole allein, schüchtern und zurückgezogen. Ihren Verehrer Colin (John Fraser) weist sie stets ab und die persönlichen Dinge von Michael, die sie im Apartment findet, entfachen in ihr eine regelrechte Abscheu. Nachts kann Carole nicht schlafen, weil sie Hélène und Michael beim Sex im Nebenzimmer hören muss. Als die beiden aber schließlich für zwei Wochen nach Italien verreisen, verfällt Carole in ihre eigene paranoide Welt voller Wahnvorstellungen und – natürlich – Ekel, voller Angst und Verstörung gegenüber Männern, voller Apathie und Verwahrlosung. Ein verwesender Hase, den Carole unzubereitet im Wohnzimmer stehen lässt, spiegelt ihren psychischen Verfall symbolisch wieder, der sich letztlich aber auch in physischer Gewalt äußern wird, denn Carole bleibt nicht allein…
Repulsion ist ein horrorartiger Psychothriller wie aus einem Guss. Die Perspektive bleibt fast durchgehend intern fokalisiert und lässt den Zuschauer alles durch die verstörte Sicht Caroles wahrnehmen. Die Halluzinationen äußern sich dann beispielsweise in immer größer werdenden Rissen in den Wänden des Apartments oder in einer Vielzahl von Händen, die sich gierig nach Carole ausstrecken. Diese Symbole sind einfach und direkt, verfehlen allerdings nicht ihre Wirkung. Die Stimmung wird im Verlauf des Films immer beklemmender. Lange Abschnitte ohne gesprochenen Dialog unterstützen die isolierende Atmosphäre. Visuell präsentiert sich Repulsion in einer hübschen Schwarz-Weiß-Ästhetik, die im Verlauf des Films mehr und mehr auf Kontraste setzt. Die Musik drängt sich bisweilen penetrant in den Vordergrund, bohrt aber dadurch ebenso nett im Kopf des Zuschauers wie die Halluzinationen in Caroles Psyche.
Polańskis Ekel ist eine abgründige Reise in den sich steigernden Wahnsinn einer von Abscheu ergriffenen introvertierten Frau, ein Alptraum mit eindrucksvoll katatonischem Finale; ein Film, den man am besten im abgedunkelten Zimmer genießt. Im Gegensatz zu vielen heutigen Shockern herrscht hier noch eine tatsächliche unbehagliche, angsteinflößende Atmosphäre, wenngleich sie hier nicht in kurzen Wellen daherkommt, sondern schleichend Stück für Stück wächst und dem Zuschauer bis zum Ende keine erleichternden Pausen mehr lässt.