Die Werckmeisterschen Harmonien

Die Werckmeisterschen Harmonien

Wenn jemand einen Film dreht, der eine Laufzeit von gut 145 Minuten aufweist und in nur 39 lange Sequenzen unterteilt ist, klingt das zunächst einmal recht anstrengend. Nun, leichte Kost ist Béla Tarrs Die Werckmeisterschen Harmonien zwar tatsächlich nicht, dafür aber eine hypnotische Meditation über ein tristes Dorf im ungarischen Nirgendwo, einen slowakischen Wanderzirkus und einen ausgestopften Wal.

Ein kleines Dorf in Ungarn, von nichts umgeben als klirrender Kälte. Die Situation ist angespannt, denn die wirtschaftliche Lage sieht alles andere als rosig aus. Arbeitslosigkeit macht sich in den Straßen breit und ganze Haushalte verschwinden. Die Stimmung droht zu kippen; ein Umbruch steht kurz bevor. Und inmitten all diesem Unmut befindet sich der junge János Valuska (Lars Rudolph) und visualisiert in der zehnminütigen Eröffnungssequenz den Aufbau einer Sonnenfinsternis unter Zuhilfenahme einiger Trunkenbolde kurz vor Schließung der Kneipe. Schnell wird klar, dass dieser Mann auf irgendeine Weise anders als die schwermütigen Dorfbewohner ist. Valuska ist ein unschuldiger Träumer, scheinbar so fern von den alltäglichen Problemen. Dennoch muss er von Bürger zu Bürger eilen und deren Nachrichten überbingen, Forderungen und Drohungen mit Konsequenzen. In einer Stadt voll von unterschwelligem Grimm wird er zum hilflosen, neutralen Beobachter wie der Zuschauer.
Als eines Nachts ein riesiger Container auf den Dorfplatz gefahren wird, der einen Zirkus aus der Slowakei samt ausgestopftem Wal beherbergen soll, droht die Lage endgültig zu kippen und lässt den Film in eine poetische, aber auch grausame letzte halbe Stunde kulminieren.

Und gerade diese finalen dreißig Minuten zeigen den unmenschlichen Höhepunkt einer negativen Entwicklung, die sich langsam aber sicher durch Film und Dorfgemeinschaft zog. Valuska besucht den Zirkus, tritt in den finsteren Container und sieht in die leblosen Augen des Meeressäugers. Doch er findet keine Antworten, keine Offenbarung. Die Zeichen stehen längst auf Widerstand gegen die Obrigkeit, wie er unweigerlich miterleben muss.
Béla Tarrs komplett in schwarz-weiß gehaltener Film ist von langsamer, fast schon schleichender, aber unaufhaltsamer Natur. Die Sonnenfinsternis, die Valuska zu Beginn des Filmes illustriert, erweist sich im Nachhinein als Allegorie auf die revolutionsbereite Gesellschaft und ihre Folgen, wenn der junge Bote etwa davon spricht, wie eine Dunkelzeit erst Angst und Terror verbreite, bevor das Licht zurückkehre.
Visuell weiß Die Werckmeisterschen Harmonien zu beeindrucken, besonders in den surrealen Momenten, wenn wie aus dem Nichts ein meterlanger Container minutenlang durch die Straße gezogen wird, wenn Valuska das Innere dieses Containers betritt und vor allem, als der angriffslustige Mob ein örtliches Krankenhaus stürmt und alles kurz und klein schlägt. Licht und Schatten tun ihr Übriges, das Dorf wirkt kalt, einsam und anonym. Auch als Valuska sich schließlich auf dem Dorfplatz von Menschenmassen umgeben sieht, bleibt die Stimmung merkwürdig kafkaesk.

Béla Tarrs Film basiert auf dem Roman „The Melancholy Of Resistance“ von László Krasznahorkai, der außerdem am Drehbuch mitschrieb und so zusammen mit Tarr ein Werk schuf, in dem Mächte am Werk sind, deren Ausmaß und Folgen erst erfassbar scheinen, wenn alles zu spät ist. Und doch sind es Mächte, deren Weg vorhersehbar ist, die einem beinahe schon natürlichen Lauf der Dinge folgen, ganz so wie die Himmelskörper, wenn sich die Sonne verdunkelt.

2 Gedanken zu “Die Werckmeisterschen Harmonien

  1. Großartige Besprechung! Hab den Film selbst erst vor wenigen Tagen gesehen und fand ihn phänomenal. Ein wirklich anspruchsvoller Film dessen Vielschichtigkeit ich wahrscheinlich noch nicht einmal ansatzweise begriffen habe.

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