The Zero Theorem

The Zero Theorem - FilmplakatDieses Jahr feierte Kultregisseur Terry Gilliam seinen 75. Geburtstag und will vom Ruhestand nach wie vor nichts wissen. 2013 erschien sein bisher letzter Film. Doch kann sich der in den USA geborene Brite auch im hohen Alter noch seine filmische Qualität bewahren? Eines vorweg: The Zero Theorem ist auf alle Fälle ein typischer, ein waschechter Gilliam-Film. Weiterlesen „The Zero Theorem“

Brazil

Brazil
© 20th Century Fox

Dieser seltsame Terry Gilliam, notorisch vom Pech verfolgt, springen ihm Produzenten ab, werden Projekte eingestampft und müssen Darsteller ersetzt werden, doch sein anti-utopisches Kunstwerk Brazil zeigt einmal mehr, warum der britische Regisseur aus der Filmkultur nicht mehr wegzudenken ist. Seine kafkaeske Bürokratensatire ist eine der humorvollsten, aber auch düstersten Zukunftsvisionen der Filmgeschichte.

Der unauffällige Archivarbeiter Sam Lowry (Jonathan Pryce) ist für das mächtige Ministry Of Information (M.O.I.) in einer technisierten und bürokratisierten Welt tätig. Während er seine kleine Rolle im großen Informationsbearbeitungsapparat wunschlos akzeptiert und sogar eine von seiner einflussreichen Mutter (Katherine Helmond) arrangierte Beförderung ablehnt, ist er in seinen surrealen Träumen ein großer Held in prachtvoller Rüstung, der immer wieder gegen ungewöhnliche Feinde antreten muss und nach einer mysteriösen blonden Schönheit strebt.
Als es im Ministerium durch einen Druckfehler zu einer Verwechslung kommt, wird statt dem illegalerweise freischaffenden Heizungsingenieur Tuttle (Robert De Niro), der als systemfeindlicher Terrorist gilt, der unschuldige Familienvater namens Buttle verhaftet und getötet. Um die ordnungsgemäße Nachbearbeitung dieses bürokratischen Irrtums soll sich nun Sam Lowry kümmern. Bei dem Überbringen eines Rückvergütungsschecks, entdeckt er die blonde Frau, die er schon so oft in seinen Träumen gesehen hat. Fortan tut er alles daran, die junge Lastwagenfahrerin namens Jill Layton (Kim Greist) vor dem verqueren System zu bewahren, dass es auf sie, aber gleichfalls auch auf ihn selbst abgesehen hat.

Beklemmende Bürokomplexe, düstere Häuserschluchten und jede Menge Rohre und Schläuche zeichnen das großartige Art Design von Brazil aus, das lediglich in den Tagträumen Sams einen Hauch von Trashcharakter erhält, wenngleich man diesen Szenen einen gewissen Charme und Einfallsreichtum nicht absprechen kann.
Die – für Gilliam typisch – zur Eigenartigkeit überzeichneten Charaktere sind weitgehend gut gespielt und wissen zu überzeugen, vor allem der für freie Gewerbe kämpfende Heizungsingenieur Tuttle, den De Niro einfach auf liebenswürdig verwegene Weise verkörpert oder der stets so freundlich aufgelegte Jack Lint (Michael Palin), der dem wohl zweifelhaftesten Job im Ministerium nachgeht.
Musikalisch wird Brazil von einem beschwingten Sambatitel namens „Aquarela do Brasil“ getragen, der ursprünglich von Ary Barroso 1939 komponiert und für den Film in einer neuen Version von Geoff Muldaur eingespielt wurde. Dieses fröhliche Maintheme illustriert passend den Kontrast zwischen der tristen Anti-Utopie und den Gedanken an schönere, ferne Orte, mit denen auch Sam Lowry seinem Umfeld zu entkommen versucht. Dies ist mit ein Grund, warum Terry Gilliam für seinen Film diesen zuerst zusammenhangslos erscheinenden Titel gewählt hat.

Brazil ist einer von Gilliams stärksten Filmen. Er schuf mit diesem Werk einen finsteren Science-Fiction-Film, der es zum Glück nicht lassen kann, immer wieder ins Satirische und Groteske zu driften. Ein bizarrer Verwaltungswahnsinn. Eine gekonnte Mischung aus humorvollen und verstörenden Szenen mit einem beeindruckenden Finale, das es in sich hat.

Tideland

Tideland
© Concorde Home Entertainment

Terry Gilliam ist in seiner Arbeit oft nicht gerade vom Glück verfolgt, aber statt sich davon abschrecken und in kommerzielle Schemata drängen zu lassen, nimmt er den Kampf jedes Mal aufs Neue auf, so seltsam die Ergebnisse seines Schaffens auch sein mögen. Skurrilität ist daher eine Eigenschaft, die alle seine Filme teilen. Tideland bildet in dieser Hinsicht auch keine Ausnahme.

Als die elfjährige Jeliza-Rose (Jodelle Ferland) ihre Mutter (Jennifer Tilly) durch eine Überdosis Drogen verliert, bricht ihr nicht minder abhängiger Vater (Jeff Bridges) mit ihr in die Einsamkeit Texas‘ auf, um zum Haus seiner Mutter zurückzukehren. Im heruntergekommenen, verlassenen Haus angekommen, lässt er sich von seiner Tochter – wie üblich – einen Schuss setzen. Ein Schuss zu viel, denn auch er segnet das Zeitliche; allerdings von Jeliza-Rose unbemerkt. Fortan bleibt er gemütlich in seinem Schaukelstuhl sitzen und verwest vor sich hin, während seine Tochter Streifzüge in die Umgebung unternimmt und auf sehr eigenartige Menschen wie die hexenhafte Dell (Janet McTeer) und ihren geistig zurückgebliebenen Bruder Dickens (Brendan Fletcher) trifft.

Die Erzählperspektive bleibt dabei stets so nah wie möglich bei Jeliza-Rose und lässt selbst die schrecklichsten Dinge durch unschuldige Kinderaugen betrachten. Ihre Alice-In-Wonderland-artige Reise driftet nämlich nicht selten ins Morbide, Perverse oder gar Abartige ab, ohne den kindlichen Zauber zu verlieren. Ein schmaler Grat, den Gilliam durchaus meistert. So ist der viel ältere, geistig zurückgebliebene Dickens zunächst zwar nur ein Spielpartner für Jeliza-Rose, entwickelt sich aber zu einer Art Verlobter für das Mädchen und lässt Gilliam damit natürlich brisante Themen wie Pädophilie streifen. Auch leicht nekrophile Anlagen finden sich beispielsweise in Form der auf einem Auge blinden Dell wieder, die sich um ihre längst verstorbene Mutter kümmert, als wenn diese es bedürfe. Durch die Kinderaugen Jeliza-Roses betrachtet, werden diese Eigenarten einerseits verharmlost, andererseits durch gerade diese Konstellation zwischen unschuldigem Kind und fremdartiger Perversion intensiviert.

In ästhetischer Hinsicht werden dem Zuschauer stimmige Bilder der ländlichen, texanischen Pampa präsentiert, die einen unterschwelligen Hauch von Abenteuer versprühen, was Jeliza-Roses Ausflüge passend unterstreicht. Musikalisch bleibt Tideland ziemlich unauffällig und tut sich weder positiv, noch negativ hervor.
Bei aller wunderbaren Skurrilität und Surrealität, die den Erlebnissen von Jeliza-Rose innewohnt, muss sich der Film jedoch den Vorwurf gefallen lassen, vor allem im Mittelteil ebenso ziellos umherzuwandern wie das elfjährige Mädchen. Terry Gilliam hat die Dramaturgie etwas vernachlässigt und stattdessen alles einfach mal auf sich zukommen lassen. Dadurch entstehen gewisse Längen, deren Spannungslevel nicht allzu hoch ist, aber wer darüber hinwegsehen kann, bekommt ein ordentliches, merkwürdiges, ja gilliameskes Drama serviert, das allerdings nicht an die alten Meisterwerke des Regisseurs, Brazil (1985) oder Twelve Monkeys (1995), heranreicht.