Nach ansehnlicher Rollenauswahl in den letzten Jahren mit Drive (Nicolas Winding Refn, 2011), The Place Beyond the Pines (Derek Cianfrance, 2012) und Only God Forgives (Nicolas Winding Refn, 2013), wagt sich Schauspieler Ryan Gosling nun an sein Regiedebüt, das keinen Hehl daraus macht, sich vor seinen ästehtischen Vorbildern zu verbeugen. Lost River nennt sich seine erste Regiearbeit und zielt auf geschmackliche Überschneidungen mit Fans von Filmemachern wie Lynch, Refn und Noé ab.
Lost River ist eine verlorene Stadt. Unaufhaltsamer Verfall zwingt die Bewohner entweder zur Flucht oder zum Überlebenskampf. Billy (Christina Hendricks) lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren beiden Söhnen in einem Haus, das schon bessere Tage gesehen hat. Um die Miete bezahlen zu können, lässt sie sich auf einen zwielichtigen Job im grotesken Nachtclub des Geschäftsmanns Dave (Ben Mendelsohn) ein, dessen Bemühungen die niedrigsten Instinkte der hoffnungslosen Stadtbewohner ansprechen sollen. Billys Sohn Bones (Iain De Caestecker) unterstützt die finanziell angeschlagene Familie unterdessen mit dem Verkauf von Metall, das er verlassenen Industrieanlagen entnimmt. Leider hat der sich selbst zur Ikone erklärende Kriminelle Bully (Matt Smith) etwas dagegen, wenn jemand anderes ihm sein Monopol streitig macht. Auf Konkurrenz reagiert er in der Regel damit, ihr mit einer Schere das Gesicht zu verstümmeln. Und wenn er Bones nicht in die Finger bekommen sollte, dann vielleicht dessen Freundin Rat (Saoirse Ronan)…
Bereit die Namen der Figuren, die mehr symbolisch als authentisch klingen, machen deutlich: Gemeinsam mit Protagonist Bones durchwandert der Zuschauer in Lost River eine unwirkliche Wirklichkeit. Die verrottende Stadt ist wie ein hermetisch abgeriegeltes, kleines Universum voller Kuriositäten und dystopischer Verhältnisse. Wie eine Art Twilight-Zone-Detroit ist der Ort des Geschehens als Zeuge des Verfalls mindestens ebenso eine Hauptfigur wie die Menschen, die ihn bevölkern. Doch die Geschichte, die Goslings Film erzählt, ist ein sonderbares Porträt. Surreal, metaphorisch, hypnotisch, das sind die Schlagworte des rudimentären Plots, der mit Auslassungen, Symbolen und Abstraktionen arbeitet. Das erinnert zwangsläufig an David Lynch als Inspiration und in seinen besten Momenten ist Lost River nicht weit vom Vibe des Kultregisseurs entfernt. Visuell eifert Gosling vor allem Nicolas Winding Refn nach, mit dem er bereits zwei Mal gearbeitet hatte. Ein dichter, stimmungsvoller Sog in schönen Bildern hat Priorität vor klassischen Erzählformen. Den letzten Feinschliff zur Ästhetisierung bringt Kameragröße Benoît Debie in das Projekt, dessen unverkennbarer Stil bereits die Alptraumwelten von Gaspar Noé – Irreversibel (2002), Enter the Void (2009) – in bunte Lichter tauchte.
Dennoch verliert sich Lost River nicht in konfuser Aufgeplustertheit und Hommage um der Hommage willen, sondern bewahrt sich in seiner Erzählung eine gewisse Geradlinigkeit, die sogar Raum für ein wenig Coming-of-Age-Drama zwischen dem jungen Bones und seiner gleichaltrigen Nachbarin Rat lässt. Mit dem Fluch, der die Stadt angeblich befallen hat, als vor vielen Jahren der im Tal befindliche Teil geflutet wurde, evoziert er das Fantastische. Doch so fremdartig die Atmosphäre auch wirken mag, letzten Endes geht es um Menschen mit menschlichen Problemen in einer dunklen Welt, deren Motivationen abseits der Symbolik eben auch in der Wirklichkeit verankert sind. Ein wenig abstrahiert, ein wenig reduziert, ergibt sich daraus eine unbehagliche, kleine Geschichte vom Scheitern des amerikanischen Traums, für die Gosling genau die richtigen Bilder gefunden hat.
Originaltitel: Lost River
Regie: Ryan Gosling
Drehbuch: Ryan Gosling
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2014
Copyright der Bilder: Sunfilm Entertainment
Handwerklich mag LOST RIVER ja ganz gut gemacht sein. Die Optik und der Soundtrack sind prägnant. Allerdings war mir die Story zu verwirrend. Am Filmende verlässt die Familie schließlich die verlorene Stadt, aber man fragt sich, warum sie nicht schon vorher gegangen ist. Dadurch würde ihr nämlich die komplette vorangegangene Handlung erspart bleiben.
Hier meine Review: https://filmkompass.wordpress.com/2015/05/09/lost-river-omu-2014/
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Ich finde es immer gut, wenn ein Film nicht hundertprozentig erschlossen werden kann. Die Handlung ist eigentlich noch relativ simpel gestaltet, aber klar, definitiv mit dem Gefühl beim Zuschauer, dass man nie so ganz weiß, was wirklich hinter all den Geschehnissen steckt. Da verschleiert Gosling natürlich bewusst mithilfe der surrealen Elemente.
Dass sich Billy in letzter, vielleicht irrationaler Hoffnung noch an den Ort klammert, empfand ich jetzt nicht irritierend. Um das jedoch tiefer zu ergründen, wissen wir einfach zu wenig über die Figur. Am Ende hingegen – und das ist jetzt ein SPOILER für alle, die hier mitlesen – hat sie quasi ein Familienmitglied mehr und einen Job weniger. Besser spät als nie geht es dann endlich raus aus Lost River. Für mich durchaus eine runde Sache, aber mir ist auch klar, dass man das anders sehen kann. Der Film ist alles andere als unangreifbar, geschmacklich aber dann doch, trotz leichter Zweifel ob all der negativen Meinungen, mit mir ziemlich kompatibel, wenn auch kein Meisterwerk o. ä. :)
Deine Review ist gut und nachvollziehbar. Matt Smith als Bully erinnerte mich in seiner fast schon naiven, am Rande der Lächerlichkeit kratzenden Direktheit an David Lynchs „Wild at Heart“. Darauf habe ich mich dann doch einlassen können, obwohl ich zustimme, dass man wesentlich interessantere Antagonisten schreiben kann. Aber wie du sagst, fallen sie hier halt zumindest auf, weil sie so markant sind.
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